Eidernebel
Geschäftsleitung möchte von allem, was in den Filialen gesprochen wird, Filmdokumente, egal wo, ob Aufenthaltsraum oder Toilette. Können Sie von den einzelnen Mitarbeiterinnen DVD-Zusammenschnitte anfertigen?«
Rösener nickt.
»Ich mache dann jeweils einen Treffpunkt außerhalb unserer Hauptzentrale mit Ihnen aus, wo ich die DVDs entgegennehme.«
Rösener kommen unwillkürlich alte Erinnerungen an die gepflegte Villa mit der hohen Gartenhecke, in der er zu Stasizeiten vertretungsweise gearbeitet hatte. Hier in der Chiffriervilla hatte er ein drei viertel Jahr lang Tag für Tag gesessen, um mitgehörte Telefongespräche aus Autotelefonen und von dem Polizeisprechfunk aus dem Westen zu verschlüsseln.
Rösener amüsiert es noch heute, wenn er daran denkt, wie sie damals selbst noch das letzte Wort verschlüsselt haben, wie »Guten Tag« oder »Was haben Sie gestern Abend gegessen?«.
»Haben Sie eigentlich keine Mitarbeiter?«, fragt Rösener plötzlich.
Die Frage brennt ihm schon die ganze Zeit auf der Zunge, da Drenkhahn unentwegt nur über die Mitarbeiterinnen redet.
»Sie sprechen immer von Mitarbeiterinnen!«
»Die Filialleiter sind männlich, der Rest ist zum größten Teil weiblich. Das funktioniert einfach besser so. Sie kennen doch den Spruch, wo viel Geld ist, sind Männer. Wo viel Arbeit ist, sind Frauen. Das war immer und überall so – und das gilt auch bei Libo.«
*
Die mittelgroße Frau klemmt sich unbeholfen ein Käsebrötchen zwischen ihre Zähne, derweil sie ihre Unterlagen, die sich den Tag über auf ihrem Schreibtisch verteilt haben, in der Schublade verschwinden lässt. Der Mordfall in der Kirche von Witzwort, den Think Big am Morgen bei der Themenbesprechung genüsslich auf den Tisch gepackt hatte, kam für die gesamte Redaktion wie aus heiterem Himmel. Keiner hatte davon im Vorfeld etwas mitgekommen und der alte Fuchs aalte sich förmlich in dem Unwissen seiner Mitarbeiter. Maria Teske hatte gleich geahnt, dass die Hauptarbeit am Ende an ihr hängen bleiben würde, und lag damit richtig.
»Maria, du hast in der Redaktion mittlerweile die meiste Erfahrung mit Mordfällen«, hatte der Chef verkündet und ihr empfohlen noch zwei erfahrene Kollegen mit ins Boot zu nehmen. Für Morgen würde er einen Aufmacher erwarten, der sich gewaschen habe, beendete er danach die Zusammenkunft.
Sie war überfordert gewesen, ihm in dem Moment zu sagen, dass es ihr zurzeit sehr schlecht gehe und dass der Auslöser dafür wahrscheinlich ihre Arbeit an dem Dreifachmord voriges Jahr gewesen war. Wie hätte sie ihm das auch erklären sollen, etwa: Ich hab Panikzustände und Herzrasen? Anfang des Monats war sie erst 36 Jahre alt geworden und sie konnte schon im Voraus erahnen, was der Chef ihr gesagt hätte.
›Eine gute Journalistin, noch dazu in deinem Alter, hat so etwas nicht. Geh zum Arzt, Maria, und bis du einen Termin hast, bleibst du an dem Fall dran, verstanden!‹
Die heutige Pressekonferenz der Husumer Kripo ist für 17 Uhr angesetzt und bis dahin ist noch eine Stunde Zeit. Für die Journalistin ist das Brötchen im Mund der erste Bissen nach ihrem Frühstück. Sie kaut genüsslich und fasst den Entschluss, vor dem Termin noch in ihrem Stammlokal vorbeizuschauen, dem Historischen Braukeller, um wenigsten etwas Warmes in den Magen zu bekommen. Als sie die Redaktion verlässt, stopft sie schnell einen Stapel ausgedruckter Rechercheartikel in ihre Tasche, die sie unbedingt noch durcharbeiten will. Obwohl Think Big das Thema Transplantationen vom Tisch gefegt hatte, ist sie heimlich weiter drangeblieben und hat Material aus dem Internet gesammelt.
Eine viertel Stunde später nimmt sie die Schachtel Cohiba Minis aus der Jackentasche, zieht ein Zigarillo heraus und zündet es an. Nachdem die Journalistin gierig einen tiefen Zug genommen hat, fühlt sie, wie ihr Herz wieder schneller schlägt.
»Einmal Pizza Mare und einen Orangensaft«, bestellt sie bei der Bedienung, ohne in die Karte zu gucken, und versucht sich zu entspannen. Doch sie muss erkennen, dass es mit innerem Druck nicht funktioniert. Sie fingert ihre Unterlagen aus der Handtasche, breitet sie auf dem Tisch aus und überfliegt einen wahllos ausgesuchten Ausdruck.
Unser Körper ist eine Zellgemeinschaft von circa 50 Billionen Zellen. Die Herrschaft über das Ganze hat unser Verstand. Einige moderne Wissenschaftler gehen mittlerweile davon aus, dass alle Informationen darüber, wie unser Körper funktioniert, in
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