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Eidernebel

Eidernebel

Titel: Eidernebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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des Wissenschaftlers. »Ich kann mir das unmöglich alles merken! Gibt es irgendwelche Artikel dazu, wo ich Ihre Informationen in Ruhe nachlesen kann?«
    »Selbstverständlich, Frau Teske, ich lasse Ihnen am Ende des Interviews eine kleine Mappe zusammenstellen.«
    Maria Teske atmet erleichtert durch und stellt die nächste Frage gleich etwas gelassener: »Herr Professor, haben Sie keine Angst, dass Sie mit solchen Aussagen von Kollegen ausgelacht werden?«
    »Es ist nun mal Fakt, dass einen die Logik in ungewöhnliche Richtungen führen kann. Aber ich stehe mit dieser Meinung mittlerweile nicht mehr allein. Paul Pearsall, ein amerikanischer Psychoneuroimmunologe, hat fast hundert Fälle dokumentiert, die auf ein Zellgedächtnis hinweisen. Der Biochemiker Rupert Sheldrake spricht in diesem Zusammenhang sogar von einem ›morphisches Feld‹, einem Gedächtnis der Natur, welches einen Erinnerungstransfer zwischen Individuen und zwischen Generationen in Betracht zieht. Dieses Feld existiert für ihn im Kleinen und im Großen gleich. Eine Form von Hierarchie der Natur. Ganz unten regulieren beispielsweise die Organellen in einem Zellkern die physikochemischen Prozesse. Diese Prozesse bilden ein Feld, welches die Substanz für übergeordnete Felder von Zellen ist. Solche Felder bestimmen das Gewebe, Gewebe die Organe und die Organe schließlich das morphische Feld des ganzen Organismus. Das wäre eine der Erklärungen dafür, dass ein Lebewesen Wesenszüge, Verhaltensweisen und sogar Erinnerungen eines Verstorbenen annehmen kann. Von den Mystikern ist diese Tatsache stets in Betracht gezogen worden. Das ist die Grundlage für den Glauben an Wiedergeburt und eine Kontinuität zwischen Lebenden und Toten. Das Leben ist mit Sicherheit viel merkwürdiger als alles, was der Geist der Menschen erfinden könnte. Selbst hier in Kiel gibt es seit Neustem eine Selbsthilfegruppe von Menschen mit einer Herztransplantation, die offen über ihre Veränderungen nach der Operation sprechen.«
    »Eine Selbsthilfegruppe? Das hört sich ja überaus interessant an. Gibt es die Möglichkeit, dass Sie mir einen Kontakt zu dieser Gruppe vermitteln können?«
    »Ich schau mal, was ich für Sie machen kann, Frau Teske.«
     
    *
     
    Es ist noch sehr früh am Morgen. Die Sonne hat sich vor knapp 20 Minuten über dem Horizont erhoben und strahlt fast waagerecht über die Marschlandschaft. Eine kleine Gruppe Männer, die sich an der Landseite des Deichs auf einer Weide versammelt hat, wirft lange Schatten über das blasse Grün. Es wird herzhaft gelacht, jemand füllt Gläser mit klarem Schnaps und Swensen weiß, dass er ihn in dieser Situation nicht ablehnen kann. Er nimmt das volle Glas, hält es wie alle anderen in die Höhe, bis der Mann mit der Flasche in der Hand laut »Und Tschüs!« in die Runde ruft. Mit einem schaurigen Brennen läuft die Flüssigkeit den Rachen des Hauptkommissars hinab, sodass er sich unweigerlich schütteln muss. Die innere Abwehr wird durch eine wohlige Wärme, die sich in seiner Brust ausbreitet, aufgelöst. Der Alkohol steigt ihm sofort in den Kopf. Voll Übermut schnappt sich der Kriminalist eine der kleinen Holzkugeln, die auf dem Gras liegen und wiegt sie in der Hand.
    Er hatte auf Annas Rat gehört und im letzten Monat seinen Alltag etwas umgestellt. Zu der täglichen Meditation joggte er nun alle zwei bis drei Tage zusätzlich mindestens eine halbe Stunde über die Feldwege um Witzwort. Das schreckliche Bild von der erstochenen Frau in der Kirche war dadurch zwar nicht verschwunden, aber seine Angst, er könnte noch einmal eine posttraumatische Belastungsstörung entwickeln, hatte sich fast gänzlich gelegt. Deswegen war er auch auf Annas weitere Idee eingegangen, neben den üblichen Kontakten mit den Arbeitskollegen, seine Freizeit ab und zu mit anderen Menschen zu verbringen. Vor zwei Wochen hatte er sich durchgerungen, bei einer Sitzung im Witzworter Boßelverein für Männer hereinzuschauen und musste sein Vorurteil von der vermeintlichen Vereinsmeierei danach revidieren. Er war dort auf einen fröhlichen Haufen gestoßen, bei dem es nicht um Mord und Totschlag ging, sondern um solche simplen Dinge, wie man die Uelvesbüller beim nächsten Aufeinandertreffen empfindlich schlagen kann.
    Swensen erfuhr etwas über die jahrhundertealte Tradition des Boßelns. Erste Aktivitäten dieser Sportart kamen von den Bewohner der Niederelbe, die mit bewundernswerter Treffsicherheit die römischen Eindringlinge um 5 nach

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