Eifel-Kreuz
nie so erlebt. Er schrie mich an, ich sei eine Hure, ich
sei die ewige Hure, die Maria Magdalena. Ich hätte sein Leben zerstört, ich
würde sündig leben, der Herr habe mich längst verstoÃen, das ewige Höllenfeuer
würde mich erwarten, ich sei Unrat, Schmutz, dreckiger als ein Schwein. Es war
so furchtbar, ich wollte nicht glauben, dass das mein Mann war. Und er hörte
nicht auf. Bestimmt eine halbe Stunde lang tobte er herum. Dann verlieà er das
Haus wieder. Ich hatte diese Ausdrücke, mit denen er mich beschimpft hatte,
noch nie aus seinem Mund gehört, das passte nicht zu dem Thomas, den ich
kannte. Ich will ehrlich sein, ich dachte, er sei verrückt geworden, reif für
die Irrenanstalt.«
»Das kann für diese Minuten in Ihrem Haus durchaus zutreffen«,
nickte Tante Anni. »Ich nehme an, er hat Sie angerufen, um sich zu
entschuldigen.«
»Stimmt. Drei oder vier Tage später. Aber für so etwas
kann man sich nicht entschuldigen, das ist passiert und die Uhr lässt sich
nicht zurückdrehen.«
»Was ist mit der Frau beziehungsweise den Frauen, mit
denen Ihr Mann sich einlie�«, fragte Rodenstock.
»Ich weià gar nicht, ob er sich richtig mit ihnen
einlieÃ.« Sie lächelte flüchtig. »Nicht nur mit der ersten hatte er kein Glück,
die Frauen kamen und verschwanden schnell wieder. Einmal rief er an und sagte
unter Lachen: âºAlle, auÃer dir, sind einfach blöde!â¹Â«
»Und die Kinder?«, fragte Emma. »Ich meine, wie sind die
mit der Situation klargekommen?«
»Ich habe ihnen beigebracht, dass Liebe kommt, aber auch
wieder gehen kann. Das haben sie akzeptiert. Sie kennen auch genau den
Unterschied zwischen Eros und Sexualität.« Sie machte eine Pause, horchte in
sich hinein. »Jedenfalls hoffe ich das«, setzte sie nach.
»Sagen Sie mal«, Tante Annis Ton wurde härter, »höre ich
das richtig zwischen den Zeilen heraus? Kann es sein, dass Sie Ihren Mann noch
immer lieben?«
»Ja.« Es klang so, als hätte sie oft über diese Frage nachgedacht
und nun endlich eine Antwort gefunden. »Ich habe nie aufgehört damit. Das war
mir aber bis heute selbst nicht klar.«
Rodenstock räusperte sich. »Kommen wir jetzt einmal zu
dem Gymnasium. Ist das etwas Besonderes? Oder ist das ein Gymnasium wie jedes
andere auch?«
»Nein, nein. Das ist eine Eliteschule. Siebenhundert Schüler,
rund siebzig Lehrer. Unter der Leitung von einigen Brüdern des Ordens der
Knechte Christi. Das ist ein Missionsorden. Aber es gibt kaum noch Patres,
denen fehlt der Nachwuchs. Aber die sechs oder sieben Patres bestimmen, was
katholisch ist und was nicht. Thomas kommentierte das mit: âºHauptsache
katholisch!⹠Ich würde ergänzen: Hauptsache erzkonservativ katholisch.«
»Ist das eine private Schule?«, fragte ich.
»Nein, nein, da kann jeder hingehen. Zumindest theoretisch.
Praktisch ist es so, dass der Grundschullehrer bei dem betreffenden Kind
ausdrücklich vermerkt: âºEmpfohlen für St. Blasius!â¹ Dann werden keine Fragen
mehr gestellt, das bedeutet, dass das Elternhaus katholisch konservativ ist und
in der richtigen Spur läuft.«
»Das ist kein Internatsbetrieb?«, vergewisserte sich Emma.
»Nein. Den jüngeren Klassen wird empfohlen, bis nachmittags
zu bleiben, dann können die Kinder dort ihre Hausaufgaben unter Aufsicht
machen. Mein Mann hat da schon mal ausgeholfen, wenn Not am Mann war.«
»Dann ist die Schule der Allgemeinen Dienstleistungsbehörde
in Trier unterstellt?«, fragte Rodenstock.
»Richtig. Das ist ein normales Gymnasium, aber eben eine
Eliteanstalt. Wer da das Abitur macht, der hat eine klare Bahn vor sich, der
hat die ersten Jobs schon in der Tasche und der hat in der Regel auch die
Eltern, die die richtigen Kontakte haben. Thomas meinte mal, das käme ihm so
vor wie ein Treibhaus: schwül, engstirnig und entsetzlich bigott.« Sie lachte
auf. »Das erinnert mich an das Hermine-Desaster! Interessiert Sie das?«
Ein einhelliges Nicken war die Antwort.
Nadine Steil grinste immer noch. »Hermine war zwölf und
der Computer ihr liebstes Spielzeug. Wobei Spielzeug eigentlich eine falsche
Bezeichnung ist, die Kleine war ein Genie mit dem Ding. Sie hat Thomas mal die
Einsatzpläne der Bundeswehr für den Kongo auf den Rechner geholt. Na ja, eines
Tages kommt diese Hermine in die Schule und
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