Eifel-Kreuz
als Nächste diese Isabell. Sie war so was wie Svens feste Freundin,
die interessiert mich.« Ich stopfte mir eine uralte Dunhill, die ich von meinem
Vater geerbt hatte, eine klassische, rechtwinklige Kostbarkeit, so einfach und
schlicht, dass Oscar Wilde seine Freude daran gehabt hätte.
»Was ist mit der Schulleitung?«, sagte Emma. »Ich würde
mir gern Pater Rufus anhören.«
Tante Anni kniff die Lippen zusammen. »Sagt mal, bei all der
Konzentration auf die Clique und die Schule â wir können damit vollkommen
danebenliegen! Gibt es denn keinen anderen Lebensbereich, in dem Motive zu
finden sein könnten?«
»Sehe ich bis jetzt nicht«, antwortete ich. »Ist
natürlich möglich, dass sich irgendeine Elternclique als eine kriminelle
Vereinigung entpuppt. Aber so etwas kommt in der Eifel relativ selten vor. Nach
wie vor sollten wir uns von der Frage leiten lassen: Wer kreuzigt einen
Achtzehnjährigen?«
»Kann das eigentlich bedeuten, dass Sven ein ernst zu nehmender
Gegner war? Dass man ihn jagte?«, fragte Emma.
»Hm«, antwortete Rodenstock. »Er war auf jeden Fall sehr
wichtig. Sonst hätte man sich nicht so viel Mühe mit ihm gegeben.« Er wandte
sich an mich. »Ãbrigens haben die Kriminaltechniker herausgefunden, mit was für
einer Kettensäge die Birke umgelegt und zerteilt worden ist: eine kleine Stihl
mit einem fünfunddreiÃiger Schwert, wie sie hier in der Gegend zu Hunderten in
den Werkstätten hängen. Das ist also nicht sehr hilfreich.«
»Hat man denn in den Autos Spuren gefunden?«, fragte ich.
»Ja. Beide haben jeweils in beiden Autos gesessen. Weshalb
ihre Handys in den Handschuhfächern lagen, ist nach wie vor unklar. Die
Speicher der Handys enthalten nichts Auffälliges beziehungsweise vielleicht
doch, denn sie enthalten so gut wie keine Daten. Die beiden haben sich gegenseitig
angerufen, das immerhin wissen wir. Und: Beide Handys sind erst ein paar Tage
zuvor von einem Menschen namens B. Herbert in Bonn gekauft worden. Leider
stimmt die angegebene Adresse und damit wahrscheinlich auch der Name nicht.
Unterm Strich bleibt niente, nada, nichts.«
»Woher stammt das Tuch, das um Svens Hüfte geschlungen
war?«, fragte Emma.
»Das ist ein teurer Stoff, aus dem normalerweise edle Damenkleider
geschneidert werden. Mehr ist nicht bekannt.«
»Und was ist mit diesem Matratzenlager, das ich im Keller
entdeckt habe?«
»Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. Fest
steht, dass sich dort mehr als zwei Personen aufgehalten haben. Die Techniker
haben Samen und andere Körpersäfte gefunden, Speichel zum Beispiel. Fest steht
auch, dass das Matratzenlager seit mindestens zwei Jahren eingerichtet war. Das
besagt das Alter der Spuren. Aber es gibt keine Fingerabdrücke. Auch nicht auf
den Flaschen.«
»Irgendjemand will, dass wir überlegen, was fehlende Fingerabdrücke
zu bedeuten haben.« Emma zündete sich einen Zigarillo an.
»Man kann es auch anders lesen: Sucht nicht nach Fingerabdrücken,
sie sind nicht wichtig«, murmelte Tante Anni.
Beinahe ärgerlich stieà Rodenstock hervor: »Okay, okay.
Aber wenn die Fingerabdrücke nicht wichtig sind, was ist dann wichtig?«
»Die Kreuzigung«, antwortete Tante Anni. »Wir sollen
nicht nach Spuren suchen, die jemanden belasten, wir sollen uns auf die
Kreuzigung konzentrieren und herausfinden, was das bedeutet.«
»Thomas Steil meinte, dass Sven Dillinger kein auffälliges
Interesse für das Kreuzigungsthema an den Tag legte«, warf ich ein.
»Na ja, du musst das von einem anderen Standpunkt betrachten.
Denk nicht an das Kreuzigungsopfer, sondern an andere, denen die Kreuzigung
möglicherweise viel bedeutet.« Emma paffte den übel riechenden Qualm flach über
den Tisch. Und dann kam etwas für Emma Typisches. Sie grinste, es leuchtete auf
wie ein Strohfeuer. »Was ist, wenn die Clique Sven erschossen und gekreuzigt
hat?«
»Auf keinen Fall!«, erwiderte ich sofort. »Die Jugendlichen
trauern echt und tief, das ist existenziell. AuÃerdem deutet der Kopfschuss auf
sehr viel Kaltblütigkeit hin. Die Clique? Niemals!«
»Wir betreiben Haarspaltereien«, stellte Rodenstock fest.
»Lasst uns hier aufhören und schlafen. Leute, ab nach Hause, ich bin todmüde,
auch wenn ich gar nichts getan habe.«
Â
Es war zwei Uhr in der Nacht, als ich bei
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