Eifel-Kreuz
dir?«
»Ich könnte zu Alex gehen. Oder zu Dickie.«
»Wegen mir kannst du auch hier bleiben, wenn du willst.
Allerdings wirst du öfter allein sein.«
»Dann nehme ich das an. Danke schön.«
Isabell Prömpers erreichte ich um zehn Minuten nach zwei.
Ich stellte mich vor und erzählte, dass ich mit Dickie bekannt sei.
»Würden auch Sie mit mir sprechen?«
»Warum nicht«, antwortete sie mit groÃer Selbstverständlichkeit.
»Wo soll ich hinkommen?«
»Ich bin zurzeit bei Benedikt. Benedikt Reibold. Fahren
Sie nach Mürlenbach, LieserstraÃe 16, auf der rechten Seite.«
»Okay, dann komme ich jetzt.«
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Das Haus war ein vornehmes Haus, groÃe
Fensterflächen, gelbe Klinkerbauweise, flach, zurückgezogen, still.
Eine Frau öffnete mir die Tür und sagte manieriert: »Sie
wollen sicher zu meinem Sohn. Bitte sehr.« Im nächsten Moment stockte sie und
fragte gedämpft: »Das hat doch wohl nichts mit diesem ⦠diesem Sven zu tun?
Also, das wäre uns peinlich, der Junge war uns ja immer peinlich. So wild und
ungezogen. Gar nicht so distengiert wie seine Eltern. Nun, er hat ja seine
Strafe bekommen.«
Sie sagte tatsächlich âºdistengiertâ¹. Sie war eine dunkelhaarige,
ein wenig dralle kleine Frau mit einer entsetzlich flach am Kopf klebenden
Dauerwelle, wie ich sie auf Bildern aus den DreiÃigerjahren des vorigen
Jahrhunderts gesehen hatte.
»Sie denken also, dass die Kreuzigung eine Strafe für
Sven war?«
Ich hatte sie verunsichert, sie starrte vor sich hin auf
die roten Fliesen. »Nun, mein Mann war immer der Meinung, dass so ein Verhalten
auf lange Sicht nicht gut gehen kann. Und Pater Rufus hatte ja sogar Bedenken,
diesen Sven auf der Schule zu behalten. Du lieber Himmel, was hat sich der Junge
nicht alles erlaubt!«
»Was hat er sich denn erlaubt?«
»Er hat Gott gelästert, wird gesagt. Und unseren Herrn
Pfarrer hat er einen Märchenerzähler genannt, das muss man sich einmal
vorstellen! So kann man doch nicht leben.«
»Frau Reibold, der Junge wird als wild bezeichnet. Vielleicht
war er aber gar nicht wild, vielleicht war er nur stinksauer auf seine Eltern
und auf seine Kirche.«
Sie bekam groÃe Augen. »Ja, aber, warum denn?«
»Vielleicht wurde ihm zu viel gelogen«, antwortete ich.
Mir wurde bewusst, dass sie mir in einem Anfall von Mut
die Türe weisen konnte. Ich wollte aber ihren Sohn sehen und sprechen, also
lenkte ich ein: »Machen Sie sich keine Sorgen, Ihr Sohn ist bestimmt ganz
anders.«
Etwas beruhigt hauchte sie: »In unserem Garten steht ein
Blockhaus. Da sind die beiden.«
Ich durchquerte ein groÃes Wohnzimmer, in dem zum Beweis
absoluter Seriosität Seidenteppiche überlappend und im Stapel ausgebreitet waren.
Es folgte eine Terrasse, auf der edles Holzgestühl herumstand, ein Rasen von
ungefähr eintausendfünfhundert Quadratmetern und dann, im Schatten einer
riesigen Buche, das braune Blockhaus.
Ich klopfte nicht, ich ging gleich hinein. In der Mitte
stand ein Billardtisch, an den Wänden Regale mit Büchern und Aktenordnern, drei
Fenster, es war eine feudale Behausung. Hinter dem Billardtisch sah ich eine
kompakte Sitzecke, bezogen mit einem Stoff, auf dem vor braunem Hintergrund
Dreiecke in Blau und Rot leuchteten.
»Mein Name ist Baumeister, ich bin Journalist, ich habe
mit Ihnen telefoniert. Danke, dass Sie mich empfangen.«
Die beiden standen auf.
Das Mädchen war eine Blondine mit Beinen bis zum Hals.
Sie trug Shorts, darüber ein lindgrünes Oberteil. Die rahmenlose Brille auf der
Nase unterstrich den Eindruck von Kühle, sie war die Tochter aus bestem Hause.
Der Junge war ein Harry-Potter-Typ mit einer dunklen
Tolle auf der Stirn und einer schwarzen Hornbrille. Er trug Jeans, dazu ein
schwarzes T-Shirt, auf dem Eltern sind
auch nur Menschen zu lesen war. Gemessen an den stämmigen Typen der Eifel,
war er ein schmales Hemd.
Artig sagten sie Guten Tag und reichten mir die Hand.
»Nehmen Sie Platz«, bat der Junge. Die beiden setzten
sich ebenfalls.
Ich kam mir vor wie bei einem Vorstellungsgespräch.
»Darf ich hier rauchen?«, fragte ich.
»Sicher«, antwortete Isabell. »Wir rauchen selbst.« Wie
um es zu beweisen, griff sie zum Tabak und begann, sich eine Zigarette zu
drehen.
Ich stopfte mir betulich eine Crown Viking und zündete
sie an. Ohne lange drum
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