Eifel-Wasser
das Gewünschte zu holen.
Als Kischkewitz vorsichtig daran nippte, fragte ich: »Wie schätzt du das ein: Wird Julia je vor einem Richter stehen müssen?«
»Niemals«, antwortete er sehr sicher.
»Mir kommt das so vor, als sei da ein Krieg abgelaufen.«
»Richtig. Leider war es ein wortloser Krieg gegen das Schweigen. Wenn ich die Akte schließe, machen wir eine Fete.«
»Das wäre schön. Ich glaube übrigens nicht, dass die Mutter im Auto sitzen geblieben ist. Ich denke, sie hat etwas mitbekommen.«
»Manchmal denke ich das auch«, nickte er. »Aber sie wird nichts darüber sagen, bevor nicht Julia ihre Geschichte erzählt hat.«
»Wie kommt eigentlich der Geschäftsführer von Water Blue bei dir weg?«
»Überhaupt nicht!«, strahlte er. »Der Mann wusste von allem, wirklich von jeder Schweinerei im Umfeld des Sprudels. Und er tritt in jedes Fettnäpfchen, das wir vor ihm aufstellen.«
Sein Handy gab liebliche Töne von sich. Verärgert schimpfte Kischkewitz: »Ich habe ausdrücklich gesagt, ich will auf keinen Fall gestört werden.«
Trotzdem hörte er dem Anrufer zu und begann hastiger zu atmen. Nachdem er das Gespräch beendet hatte, starrte er auf die Kirche nebenan und blinzelte. »Julia Breidenbach«, murmelte er tonlos. »Sie ist verschwunden, einfach weg. Seit heute Morgen gegen elf Uhr. Ich hatte einen Beamten vor ihrer Tür postiert. Doch der Mann hat sich zur Schwester gesetzt und gemütlich ein Tässchen Kaffee getrunken. Als er zurückkam, war sie weg. Dieser Idiot, dieser Holzkopf!« Er wedelte mit beiden Händen. »Ich muss weg, Baumeister.« Er schoss buchstäblich auf das Gartentor zu, stoppte, drehte sich und fragte: »Wo würdest du suchen?«
»Gute Frage. Wenn sie zu Fuß unterwegs ist, wird sie irgendwo in den Wäldern zwischen hier und Wittlich stecken«, überlegte ich. »Hat sie ein Fahrrad genommen? Oder ein Moped?«
»Weiß ich nicht, verdammte Scheiße, ich weiß gar nichts. Ich will nicht noch eine Leiche, ich hasse diesen Fall.«
»Was trägt sie denn?«
»Ihre eigenen Klamotten, vermute ich mal. Ich schiebe den Kerl persönlich durch den Fleischwolf!« Endlich rannte er zu seinem Auto und startete mit durchdrehenden Rädern.
Ich ging ins Haus und versuchte noch mal Matthias zu erreichen, aber er war nicht zu sprechen. Ich versuchte Rodenstock zu erreichen, sein Handy war besetzt. Veras Handy lag auf dem Nachttisch im Schlafzimmer. Emmas Handy schien nicht eingeschaltet.
Baumeister, dreh jetzt nicht durch. Gehe logisch vor. Sie entwischt aus dem Krankenhaus. Wo liegt dieses Krankenhaus? In den nördlichen Ausläufern von Wittlich. Sie wird die Innenstadt meiden und sie ist am richtigen Punkt der Stadt, wenn sie nach Norden will. Und sie will nach Norden, Richtung Daun, Richtung Ulmen. Sie wird in ihrem Elternhaus nicht aufkreuzen, aber sie wird in die Gegend wollen, wo sie zu Hause ist. Den Steinbruch wird sie nicht anpeilen, das wäre zu schmerzlich. Aber sie wird in diese Gegend zu kommen versuchen, falls sie sich nicht vorher ... ja, falls sie sich nicht vorher das Leben nimmt. Denk auch das ruhig durch, Baumeister, denk in Ruhe an die Möglichkeit, dass sie sich das Leben nehmen will. Sie ist also am Nordrand der Stadt und sie will nach Norden. Welchen Weg nimmt sie?
Ich rannte die Treppe hinauf in mein Arbeitszimmer und legte den Autoatlas vor mich.
Wenn sie nach Norden geht, nimmt sie das Tal der Lieser. Sie wird das kennen, jeder Naturfreak kennt das. Ihr Vater wird sie hundertmal mitgenommen haben. Wie viele Kilometer hat sie vor sich? Luftlinie ungefähr fünfundzwanzig Kilometer. Wenn sie sämtliche Bögen des Flusses mitnimmt, wird sie fünfunddreißig Kilometer zu laufen haben. Und sie wird nur langsam vorankommen, denn jede Gruppe von Wanderern wird sie zwingen zu warten, und das Tal ist stellenweise so eng, dass sie sich oft verstecken muss.
Ich wusste, dass westwärts von Niederöfflingen und Oberöfflingen der Fluss die steilsten und engsten Kehren durchlief. Steil und eng war es auch bei Eckfeld. Es war wahrscheinlich am aussichtsreichsten, die Burgen in Manderscheid anzufahren und dann flussaufwärts zu gehen, Julia entgegen.
Ich dachte daran, einen Zettel auf den Küchentisch zu legen, ließ es jedoch sein. Rodenstock würde schnell genug erfahren, wo ich steckte. Ich sprang in meinen Wagen und fuhr los.
Ich kam nicht gut voran, es waren zu viele Lkw unterwegs. Als ich an der alten Mühle, im Loch der Lieser unterhalb der Niederburg parkte, war
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