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Eifel-Wasser

Eifel-Wasser

Titel: Eifel-Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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Reden hatten wir die Schnellstraße nach Kelberg fast zur Hälfte hinter uns gebracht. In Höhe der Abfahrt zum Gran Dorado querten in aller Ruhe Rehe die Straße. Eine Ricke hatte ein Junges bei sich und sicherheitshalber blieb sie mitten auf der Fahrbahn stehen, wie gute Mütter das so tun, und blickte mich drohend an.
    »Ich frage mich, ob wir zur Raumgewinnung einen Wintergarten anbauen sollen«, bemerkte Rodenstock. »Ich muss Emma nach ihrer Meinung fragen.«
    »Du bist wirklich ein unglaublicher Fall!«
    Er konnte Emma nur eingeschränkt befragen, da sie sich zusammen mit Vera in einer Aufwallung von Glück über das Heyrother Eifelhäuschen dem Alkohol anheim gegeben hatte. Die beiden saßen kichernd auf den Fliesen in der Küche und hatten unendliche Mengen von Papier um sich herum verteilt, auf das sie Grundrisse gezeichnet hatten, Fensteransichten, Räume mitsamt den Andeutungen von Mobiliar. Inmitten dieses Chaos standen Gläser und Weinflaschen.
    Emma sah ihren Rodenstock strahlend an und erklärte leicht nuschelnd: »Wir haben beschlossen, dass ich einen Esel kriege.« Dabei balancierte sie mit weichen Bewegungen ein volles Glas über ihren künstlerischen Ergüssen, hielt das Glas aber schief. Ein dünner Faden der Flüssigkeit ging stetig auf ihre Hose, auf Veras Hose und auf die Papiere nieder. Es entstand eine ausgesprochen farbenfrohe Komposition.
    Uberflüssigerweise fragte Rodenstock: »Einen Esel? Einen richtig lebendigen Esel?«
    Als hätte er nichts gesagt, fuhr Emma fort: »Ich wollte schon als kleines Mädchen einen Esel haben. Ich habe immer und immer wieder meinen Eltern gesagt: Wenn ihr wollt, dass ich richtig glücklich bin, müsst ihr mir einen Esel schenken!« Ihre Stimme schlug um in ein Meer von Traurigkeit. »Ich habe den Esel nie gekriegt. Ich war ein Kind ohne Esel.«
    Vera hielt den rechten Zeigefinger steil in die Luft. »Die meisten Kinder kriegen das, was sie wirklich wollen und brauchen, nie!«
    »Wie viele Flaschen?«, grinste Rodenstock.
    »Nicht sehr viele!«, betonte Vera. »Wir haben auch schon einen Stall geplant, konspiriert, konzipiert, oder was?«
    Emma kicherte etwas blöde. »Ich wette, die halten uns für betrunken. Aber merkt euch eines: Mein Esel muss männlich sein und er soll Einstein heißen!«
    »Da wird sich Einstein aber freuen«, nickte ich.
    Vera verkündete mit weit ausholender Handbewegung: »Ich bin nicht für Einstein. Einstein hatte eine zu schöne Zunge. Ich bin für Nietzsche! Der hat sein Leben lang gelitten. Was glaubt ihr, wie der heute leiden würde! Nietzsche! Das ist echt, das ist wahr. Oder Goethe? Goethe geht nicht. Vielleicht Kant wegen dieses komischen Imperativs? Ach, das ist alles Kokolores. Nietzsche, Schwester, Nietzsche! Oder Kohl! Kohl hat doch gesagt, es sei immer wichtig, was hinten rauskommt. Ach Gott, der war ja auch so haltlos mittelmäßig.« Sie bekam einen Lachanfall und stürzte ihr Weinglas in das Papierchaos.
    »Großer Gott!«, seufzte Rodenstock ergriffen.
    »Haben wir noch Sekt im Haus?« Emma versuchte einen Rülpser zu unterdrücken.
    »Angesichts dieser Orgie gebe ich auf und verteile erst einmal Aspirin«, erklärte ich und marschierte hinaus.
    Rodenstock folgte mir ins Wohnzimmer. Ich hockte mich in einen Sessel. »Ich glaube, Rodenstock, alles war ganz anders.«
    »Was war anders?«, fragte er.
    Unsere Frauen grölten: »Yesterday!«
    »Ich denke, es macht nur Sinn, wenn ... Was ich meine, ist Folgendes. – Mein Gott, können diese Frauen nicht einmal schweigen? Breidenbachs Frau hat gesagt, dass ihr Mann bei Regen Tiere beobachten wollte. Tiere, die man sonst so nicht sieht. Aber was sollen das eigentlich für Tiere sein? Rote Wegschnecken? Eine zufällig vorbeikommende Glockenunke? Eine trächtige Erdkröte auf dem Weg zu ihrem Frauenarzt? Das ist Stuss, Rodenstock, morastiger Stuss.«
    »Lass mich teilhaben an deiner Weisheit das menschliche Leben betreffend«, spöttelte er.
    »Breidenbach, das nehme ich fest an, wollte im Steinbruch jemanden treffen.«
    »Bei strömendem Regen«, ergänzte Rodenstock melancholisch.
    »Na eben! Es war eine Zusammenkunft, von der Dritte nichts wissen sollten, geheim sozusagen.«
    »Geheim?! In der Eifel bleibt selten etwas geheim«, murmelte er jetzt ohne Spott.
    »Das ist falsch. Es gibt Dinge, die hier geheim bleiben, obwohl ein paar Hundert Menschen sie wissen. Zum Beispiel, dass viele Pastöre Kinder zeugen. Oder dass ein Studienrat ein außereheliches Verhältnis hat

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