Eifel-Wasser
schön hier.«
»Das ist wahr«, nickte ich. »Kommen Sie herein oder komm herein. Ich weiß nie, wann ich jemanden duzen darf und wann nicht. Ich heiße Siggi.«
»Ich bin die Jule.« Erleichtertes Aufatmen. »Es dauert auch nicht lange.« Für Sekunden wirkte sie so sachlich, als wollte sie mir ein Illustriertenabonnement verkaufen.
Ich bugsierte sie ins Wohnzimmer und fragte sie, was sie trinken wolle. Sie entschied sich für Wasser. Ich holte eine Flasche samt Glas, stopfte mir eine lange Jeantet und setzte mich ihr gegenüber.
»Es ist sicher schwer für dich in diesen Tagen. Und dann machst du noch den weiten Weg von Ulmen nach Brück. Das ist ja nun kein Spaziergang.«
»Das ist überhaupt nicht schlimm, wenn die Sonne scheint. Ich fahre immer querfeldein, dann ist es nicht so öde.«
»Von Ulmen hierher querfeldein?« Das war verblüffend. »Wie geht das? Mithilfe von Messtischblättern?«
»Ich habe die Strecken im Kopf«, erklärte sie.
Das war mehr als verblüffend. Ich bat: »Erklär mir den Weg. Das interessiert mich wirklich. Das sind ... wie viele Kilometer?«
»Normal wären es zwanzig.« Ihre Stimme war jetzt fester geworden. »Aber ich fahre hinter Ulmen auf Gefeil zu, dann Sarmersbach, Neichen und so weiter. Ich spare so rund die Hälfte der Strecke.« Sie lächelte. »Du musst natürlich wissen, wo es genau langgeht, sonst landest du irgendwo in der Pampa.«
»Das hat dein Vater dir beigebracht, nicht wahr?«
»Ja, klar. In so was ist er wirklich ... war er wirklich gut.«
»Also, was kann ich für dich tun?«
Sie hielt den Kopf gesenkt, als sie sagte: »Ach, Gott.« Dann fand sie sich selbst wohl komisch. »Unterwegs habe ich noch genau gewusst, was ich alles sagen wollte.«
»Das macht nichts, das wird dir wieder einfallen. Wolltest du über den Tod deines Vaters reden? Oder über Holger Schweds Tod? Oder über was anderes? Lass dir Zeit.«
»Ich weiß nur, dass sie tot sind. Und eigentlich weiß ich nicht, was das heißt. Oder, ich weiß es, aber ich weiß es auch nicht. Aber ich wollte über die Leukämiegeschichte mit dir reden. Oder mit euch. Weil – ich habe überlegt, dass die Sache etwas damit zu tun haben könnte. Mit Papas Tod. Oder mit Papas und Holgers Tod. Ist dein ... ist der ältere Mann nicht da? Wohnt der nicht hier?«
»Doch«, sagte ich. »Ich hole ihn.« Ich ging hinüber in die Küche und bat Emma, Rodenstock schleunigst aus dem Bett zu werfen. Dann kehrte ich zurück. »Wir sind etwas aus der Reihe, wir waren erst um vier Uhr im Bett.«
»Bei uns war es auch spät. Mama hatte noch ... so eine Art Zusammenbruch mit verrückten Kopfschmerzen und musste sich übergeben. Ich habe überhaupt nicht geschlafen, schon seit Tagen. Ich bin völlig durch den Wind.«
»Das kann ich verstehen.« Die Pfeife brannte gut und gleichmäßig, der Geruch beruhigte mich.
Rodenstock kam herein. Er trug seinen langen roten Bademantel und kratzte sich vergnügt am Kopf. »Hallo«, sagte er. »Lasst euch nicht stören, mein Gehirn arbeitet noch nicht und ist so lebendig wie ein Badeschwamm. Aber das kommt schon noch. Gut Ding will Weile haben. Wie geht es dir?«
»Na ja«, erwiderte Julia matt. »Ich bin hier wegen der Leukämiefälle. Ich war von Anfang an dabei. Meine Clique wollte mitarbeiten, aber die Lehrer sagten, wir sollten das Ganze sein lassen, das wäre nichts für uns. Die Behörden würden das regeln. Das habe ich schon damals nicht geglaubt. Wir wollten für den Offenen Fernsehkanal eine Reportage darüber machen. Dann ist Holger eingestiegen, hat sich richtig engagiert. Wenn ich darüber nachdenke, war Holger direkt gefährlich für die.«
»Von Anfang an, bitte«, stoppte ich den Redeschwall.
»Wer ist die?«, fragte Rodenstock bedächtig. »Du musst unsere etwas dümmlichen Fragen verstehen: Wir haben keine Ahnung von dem, was du uns erzählen willst.«
»Wann fing das mit den Leukämiefällen an?«, fragte ich.
»Vor zwei Jahren fiel es das erste Mal auf«, sagte sie.
»Moment«, ich war irritiert. »Ich lese regelmäßig Zeitung. Ich habe nie etwas über so eine Sache gelesen.«
»Darüber stand ja auch nie was in der Zeitung. Nur der Rundfunk hat mal kurz darüber berichtet. Wir waren schon ganz verzweifelt, weil niemand uns zuhören wollte.« Sie wirkte hochkonzentriert, war ganz ihren Erinnerungen verhaftet.
»Ihr hattet also etwas entdeckt«, sagte Rodenstock ermunternd.
»Nein, so war das nicht«, berichtigte sie mit einem schnellen Lächeln. »Es
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