Eifel-Wasser
fing damit an, dass mein Vater etwas entdeckte.«
»Gift im Trinkwasser. Richtig?«
»Richtig. Vinyl. Aber erst, nachdem Doktor Bauerfeind ihn angerufen und behauptet hat, in der Verbandsgemeinde Thalbach würden erschreckend viele Fälle von Blutkrebs bei Kindern auftreten. Das ist ein Kinderarzt.«
»Bleiben wir sachlich, junge Frau«, warf Rodenstock ein. »Über wie viele Fälle reden wir?«
Sie nickte befriedigt, als habe sie auf diese Aufforderung gewartet. »Statistisch hätte es in der Verbandsgemeinde zwei Fälle geben dürfen. Innerhalb der letzten zwei Jahre sind zwanzig Fälle bekannt geworden. Vier Kinder sind gestorben.«
»Heilige Madonna!«, murmelte Rodenstock betroffen. »Sind diese zwanzig Fälle belegbar?«
»Ja. Ich habe Kopien der medizinischen Gutachten. Wenn Sie die haben wollen ...«
»Wann wurde dein Vater genau mit dem Problem konfrontiert?«, fragte ich.
»Vor etwa zwanzig Monaten. In einer Familie starben gleich zwei Babys. Zwillinge. Die Mutter wollte Krach schlagen. Daraufhin informierte Doktor Bauerfeind meinen Vater. Er bat ihn, das Trinkwasser der Gemeinde zu untersuchen. Doch mein Vater sagte, das hätte alles keinen Sinn.«
»Warum denn das?«, stieß ich verblüfft hervor.
Julia begriff sofort. »Oh, nicht dass ich was gegen meinen Vater gehabt hätte, aber er hatte Recht. Es ist nämlich so, dass es beim Trinkwasser eine Ringversorgung gibt. Das bedeutet, dass das Wasser aus den Gewinnungsgebieten und Quellen sehr vieler Gemeinden in den Wasserleitungen zusammenfließt. Die Leute in Thalbach trinken also Wasser, das nur zu einem Teil aus den eigenen Brunnen und Quellgebieten stammt.«
»Die Wasser werden gemischt«, verstand ich.
»Richtig«, nickte sie und presste die Lippen zusammen.
Es war still.
»Du hast gesagt«, begann Rodenstock behutsam, »dass ihr erfolglos wart. Ihr wolltet was unternehmen, aber es wurde euch verboten. Stimmt das?«
»Ja.« Ihr Mund begann zu zucken. »Und dann war die Familie mit den zwei toten Babys plötzlich weg.«
»Ich war in Chemie schon immer schlecht. Was, bitte, ist eigentlich Vinyl?«, versuchte ich das Gespräch wieder in abstraktere Bahnen zu lenken.
Das half ihr, sie wurde wieder ruhiger. »Eigentlich geht es um Vinylierung. Das ist eine chemische Reaktion des Acetylens zur Einführung der Vinylgruppe. Unter Druck bei rund zweihundert Grad. Dabei kommen polymerisierbare Vinylverbindungen raus. Und die dienen zur Herstellung von Kunststoffen.« Sie wurde sich klar darüber, was sie da wie eine Salve abfeuerte. Und sie musste lachen und hielt beide Hände vor das Gesicht. »Oh, nein!«
Rodenstock grinste. »Baumeister weiß jetzt garantiert noch weniger als vorher. Mit anderen Worten, junge Frau, geht es um Kunststoffe, aus denen man zum Beispiel Fensterrahmen herstellen kann, wenn ich das richtig begreife.«
»Ja. Vinylpolymerisate. Aus denen kann man hochwertige Kunststoffe herstellen. Hochmolekular. Das heißt besonders lange Molekülketten. O Gott, was rede ich für einen Scheiß.« Sie kicherte wieder, war für Sekunden ein fröhliches Mädchen.
»Kannst du schildern, was ihr unternommen habt?«, bat Rodenstock. »Beziehungsweise was ihr machen wolltet. Und was sind das für Leute, wer gehört zur Clique?«
»Na ja, Freunde und Freundinnen. Wir unternehmen viel gemeinsam. Acht Leutchen, fünf Mädchen, drei Jungen. Wir kamen nicht weiter, weil alle anderen sagten, wir sollten uns in solche Sachen nicht einmischen, das sei nichts für uns. Die Schule wollte uns die Reportage verbieten, obwohl es um unsere Freizeit ging. Unser Deutschlehrer meinte, wir seien hoffnungslose Sozialromantiker. Und dann fingen auch noch die Eltern an, rumzumeckern. Das sei schließlich Sache der Behörden. Dabei wollten wir doch nur nachweisen, dass Kinder Leukämie kriegen, weil ein Fensterfabrikant Vinyl benutzt hat und das Zeug irgendwie ins Trinkwasser gelangt ist.«
»Wie ging es weiter?«, wollte ich wissen.
»Der Fensterhersteller hat uns ausrichten lassen, wenn wir irgendwelche Behauptungen an die Öffentlichkeit tragen, wird er unseren Eltern eine Schadensersatzklage in Millionenhöhe anhängen.«
»Zwei Punkte interessieren mich«, meinte Rodenstock. »Da ist zum einen dein Vater, der das Gift nachweisen sollte oder wollte. Und dann ist da diese Familie mit zwei toten Babys. Die war plötzlich weg. Was ist da passiert?«
»Also, was mein Vater getan hat oder was er nicht getan hat, wissen wir nicht genau. Aber ich bin mir
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