Eighteen Moons - Eine grenzenlose Liebe (German Edition)
so faltig war sie inzwischen. Eine Weile hörte ich auf das rhythmische Pulsieren der Plastikmanschetten, die man ihr um die Fußgelenke gelegt hatte und die sich aufbliesen und wieder zusammenzogen, aufbliesen und zusammenzogen.
Als könnten sie wiedergutmachen, dass Tante Prue nicht mehr gehen und nicht mehr sehen konnte, nicht mehr mit ihren Schwestern Jeopardy! schauen und sich über alles beschweren konnte, obwohl sie es eigentlich mochte.
Ich nahm ihre Hand. Der Schlauch in ihrem Mund gurgelte bei jedem Atemzug, nass und keuchend. So als würde sie an ihrem eigenen Atem ersticken.
Lungenentzündung. Ich war zufällig in der Küche gewesen, als Amma mit dem Arzt telefoniert hatte. Statistisch gesehen war es die Lungenentzündung, die Komapatienten am häufigsten den Tod brachte. Ich fragte mich, ob der Schlauch, den Tante Prue im Mund hatte, ein Zeichen dafür war, dass auch ihr statistisch voraussagbares Ende näher rückte.
Bei dem Gedanken, dass meine Tante eine Zahl in einer Statistik war, hätte ich am liebsten den Eimer für den Sondermüll aus dem Fenster geworfen. Stattdessen drückte ich sanft die winzige Hand von Tante Prue, mit Fingern so klein wie dürre Zweige im Winter. Dann nahm ich auch ihre andere Hand und schlang meine kräftigen Finger um ihre zerbrechlichen.
Ich legte die Stirn auf unsere Hände und schloss die Augen. Ich stellte mir vor, dass ich den Kopf heben und sie mich anlächeln würde und dass alle Schläuche und Verbände verschwunden wären. Ich überlegte, ob Wünschen und Beten dasselbe war. Ob etwas tatsächlich geschah, wenn man es nur inständig genug hoffte.
Ich dachte immer noch darüber nach, als ich die Augen wieder aufmachte in der Annahme, ich befände mich in Tante Prues Zimmer, neben dem trostlosen Krankenhausbett, umgeben von niederschmetternd pfirsichfarbenen Wänden. Stattdessen stand ich in hellem Sonnenlicht vor einem Haus, in dem ich schon Hunderte von Malen gewesen war …
Das Haus der Schwestern sah genauso aus, wie ich es in Erinnerung hatte, bevor die Vexe es zerstört hatten. Die Wände, das Dach und auch der Teil des Hauses mit Tante Prues Zimmer – alles, jedes weiße Kiefernbrett, jede Dachschindel war noch an Ort und Stelle.
Der Weg, der zur Veranda führte, war rechts und links mit Hortensien bepflanzt, ganz so, wie es Tante Prue am liebsten mochte. Über den Rasen spannte sich die Wäscheleine für Lucille . Auf der Veranda saß ein Hund, ein Yorkshire Terrier, der Harlon James auffallend ähnlich sah. Er war es aber nicht. Sein braunes Fell glänzte goldener. Ich bückte mich und las das Schild an seinem Halsband. Darauf stand » HARLON JAMES III .«.
»Tante Prue?«
Auf der Veranda standen drei weiße Schaukelstühle, dazwischen die Korbtischchen . Auf einem stand ein Tablett mit zwei Gläsern Limonade. Ich setzte mich in den zweiten Schaukelstuhl und nicht in den ersten. Der Stuhl gleich neben dem Eingang war Tante Prues Lieblingsstuhl, und ich nahm an, sie würde sich bestimmt dorthin setzen wollen, wenn sie käme.
Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass sie kommen würde.
Sie hatte mich doch hierhergebracht, oder nicht?
Ich kraulte Harlon James III ., was ziemlich merkwürdig war, denn eigentlich saß er ja ausgestopft in unserem Wohnzimmer. Ich blickte wieder auf.
»Tante Prue!« Ich zuckte erschrocken zusammen, obwohl ich sie erwartet hatte. Sie sah auch nicht besser aus als in ihrem Krankenhausbett. Sie hustete und ich hörte das fast schon vertraute rhythmische Geräusch der Kompressionen. Sie hatte die Plastikmanschetten an den Knöcheln, die sich zusammenzogen und wieder aufbliesen, als läge sie noch immer im Krankenhaus.
Sie lächelte. Ihr Gesicht war wie Pergament, ihre Haut so dünn und bleich, dass darunter die bläulich-violetten Venen durchschienen.
»Du hast mir gefehlt. Tante Grace, Tante Mercy und Thelma sind aufgeschmissen ohne dich. Und Amma vermisst dich auch.«
»Amma besucht mich fast jeden Tag und an den Wochenenden kommt dein Daddy. Sie kommen regelmäßig und sprechen mit mir – im Gegensatz zu bestimmten anderen Leuten.« Sie schniefte.
»Tut mir leid. Irgendwie läuft zurzeit alles schief.«
Sie winkte ab. »Ich laufe nirgendwohin. Noch nicht. Sie haben mir Hausarrest aufgebrummt, wie einem dieser Verbrecher aus den Fernsehserien.« Sie hustete und schüttelte den Kopf.
»Wo sind wir, Tante Prue?«
»Das kann ich dir selbst nicht sagen . Aber ich habe nicht viel Zeit. Sie halten einen ganz schön auf
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