Eighteen Moons - Eine grenzenlose Liebe (German Edition)
Sie rappelte sich auf und starrte die Überreste des Hauses an, als könnte sie dort tatsächlich noch das Schlafzimmer sehen. Ohne jede Warnung goss es plötzlich in Strömen und ein Wetterleuchten erhellte den Himmel. Die Heuschrecken hüpften in alle Richtungen davon und im Nu war ich bis auf die Haut durchnässt.
L?
Ich stand im Regen und dachte zurück an die Nacht, in der wir uns kennengelernt hatten, mitten auf der Route 9. Lena sah immer noch aus wie damals und zugleich so ganz anders.
Bin ich jetzt total durchgeknallt oder hat Sarafine wirklich liebevoll für mich gesorgt?
Du bist nicht durchgeknallt.
Aber das kann doch gar nicht sein, Ethan .
Ich strich mir die nassen Haare aus den Augen.
Vielleicht doch .
Lena wandte sich ab, und der Regen hörte unvermittelt auf; zwischen Wolkenbruch und Sonnenschein lagen nur Sekunden. Das geschah jetzt immer öfter – Lenas Kräfte pendelten zwischen Extremen und waren unkontrollierbar geworden.
»Was hast du vor?« Ich beeilte mich, sie einzuholen.
»Ich will sehen, was noch übrig ist.«
Sie meinte damit nicht die Steine und das angekohlte Holz, sondern das Gefühl, das sie festhalten wollte, den Beweis für diesen einen glücklichen Augenblick, den sie hier verlebt hatte.
Ich folgte ihr bis zu den Fundamenten des Hauses, von dem nur noch einzelne Mauerstücke standen. Ich weiß nicht, ob ich es mir einbildete, aber je näher wir den verkohlten Überresten kamen, desto mehr roch es nach Asche. Man sah noch die verbrannten Stufen, die zur Veranda hinaufgeführt hatten. Ich war groß genug, um über die Mauer zu schauen. Dahinter war nur ein großes Loch, in dem Zementtrümmer und geborstenes, moderndes schwarzes Holz herumlagen.
Lena kniete sich in den Schlamm und hob etwas auf, das ungefähr so groß war wie eine Schuhschachtel.
»Was ist das?« Auch bei näherem Hinsehen begriff ich nicht sofort, was es war.
»Keine Ahnung.« Sie wischte den Schmutz ab. Eine rostige, verbeulte Blechkiste kam zum Vorschein. Lena gab sie mir. Sie war schwerer, als ich erwartet hatte.
»Das Schloss ist geschmolzen, aber ich krieg das schon auf.« Ich sah mich nach einem Stein um, hob einen faustgroßen auf und holte schwungvoll aus, als sich die Metallscharniere knirschend von selbst öffneten. »Was zum …« Ich sah Lena fragend an und sie zuckte mit den Schultern.
»Manchmal funktionieren meine Kräfte immer noch so, wie ich es will.« Sie stampfte in eine Pfütze. »Manchmal aber auch nicht.«
Die Kiste hatte im Feuer gelegen und war zerbeult und verrußt, aber ihr Inhalt war unversehrt: ein feines silbernes Armband, ein zerlesenes Exemplar von Dickens’ Große Erwartungen und ein Foto, das Sarafine in einem blauen Kleid zusammen mit einem dunkelhaarigen Jungen bei einem Schulball zeigte. Sie standen vor einer kitschigen Kulisse, so wie Lena und ich beim Winterball im vergangenen Jahr. Unter dem Armband lag ein zweites Foto – ein Babyfoto, auf dem ein kleines Mädchen abgebildet war. Ich wusste sofort, dass es Lena war, das Kind sah genauso aus wie das Baby, das Sarafine auf dem Arm gehalten hatte.
Lena fasste das Babyfoto vorsichtig an einer Ecke und nahm es aus der Kiste. Innerhalb von Sekunden verblasste die Welt um uns herum und das Sonnenlicht verwandelte sich in Dunkelheit. Ich wusste sofort, was los war, aber diesmal passierte es nicht mir. Diesmal folgte ich Lena in eine Vision, so wie sie mir damals gefolgt war, als ich zusammen mit den Schwestern in der Kirche gesessen hatte. Und schon war aus dem nassen Boden Gras geworden …
Izabel zitterte am ganzen Leib. Sie wusste, was geschah, aber es konnte sich nur um einen Irrtum handeln. Es war ihre schlimmste Befürchtung, der Albtraum, der sie seit Kindertagen verfolgte. Das durfte ihr nicht passieren – sie war Licht, nicht Dunkel. Sie hatte immer versucht, alles richtig zu machen, wollte stets allen gefallen. Wie also konnte sie etwas anderes sein als Licht? Doch als die entsetzliche Kälte ihr fast die Adern zerriss, wusste Izabel, dass sie sich täuschte. Es war kein Irrtum. Sie wurde Dunkel.
Der Mond, ihr Sechzehnter Mond, stand jetzt voll und leuchtend am Himmel. Während sie ihn betrachtete, spürte sie, wie die seltenen Gaben, von denen ihre Familie überzeugt war, dass sie sie besaß – die Gaben einer Naturgeborenen –, zu etwas Neuem verschmolzen. Bald würden ihr Herz und ihre Gedanken nicht mehr ihr selbst gehören. Unglück, Zerstörungswut und Hass würden alles andere verdrängen.
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