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Ein Abend im Club

Ein Abend im Club

Titel: Ein Abend im Club Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gailly
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darin ein. Wahlkabine. Lügenfalle. Quarantäneraum. Eine Schleusenkammer zwischen zwei Welten war diese gepolsterte Zelle. Vielleicht ein Sarg. In jedem Fall.
    Die Tür war geschlossen und Simon schon nicht mehr derselbe. Er war wieder der, der er seit zehn Jahren war. 23.30 Uhr. Sein Zug rollte Richtung Paris. Er wählte die Nummer seiner Wohnung.

7.
    Suzanne schlief, nehme ich an. Ich sage das und denke an das Schlafzimmer. In Suzannes und Simons Schlafzimmer hing ein Bild von mir, nicht ein Porträt von mir, sondern eines meiner Gemälde. Suzanne hatte es mir zu Simons Geburtstag abgekauft. Suzanne hatte ein Auge dafür. Sie hatte unter meinen Lieblingsbildern eines der schönsten ausgesucht. Simon war begeistert. Er hatte es unbedingt übers Kopfende des Bettes hängen wollen. Seiner Meinung nach kam nur diese Wand für das Bild in Frage. Ich fand das ziemlich unvorsichtig. Wenn es runterfällt, erschlägt es euch, sagte ich ihnen. Na, lassen wir das. Simon hat es in sein neues Haus mitgenommen.
    Suzanne las oder schlief übrigens nicht im Schlafzimmer, als das Telefon klingelte, sie war im Wohnzimmer und sah fern. Unruhig und besorgt hatte sieauf dem Sofa gelegen und war bei laufendem Fernseher eingeschlafen. Den Anfang des Films hatte sie noch gehört und gesehen. Nach zehn Minuten hatte sie nur noch mit geschlossenen Augen zugehört. Dann hatte sie auch nichts mehr gehört.
    Wenngleich sie daran gewöhnt war, im Schlaf die Filmtelefone klingeln zu hören, wurde sie vom Klingeln ihres eigenen aufgeschreckt.
    Sie richtete sich auf, kam taumelnd und noch ein bisschen betäubt auf die Füße, schwankte einen Augenblick zwischen dem Apparat im Wohnzimmer, der nur eine Armlänge entfernt stand, und dem im Nebenzimmer.
    Als sie mich anrief, um mir zu sagen, dass sie zu Simon fahren wolle, hat sie mir, wohl aus der Gefühlsbewegung heraus, alles bis ins Detail erzählt. Ich habe nie verstanden, wieso sie ins Nebenzimmer gegangen ist, um abzunehmen.
    Ich bin’s, sagte Simon. Ach?, fragte Suzanne, du? Aber wart mal, sagte sie, das verstehe ich nicht, rufst du aus dem Zug an? Gibt’s ein Telefon im Zug? Aber wieso rufst du mich an, wenn du im Zug sitzt? Um mir zu sagen, dass du mich liebst? Du bist ein Schatz, weißt du, weißt du das?
    Aber nein, ich bin ja blöd, ich bin noch gar nicht richtig wach, du rufst nicht aus dem Zug an, Zugtelefone funktionieren nie. Von wo rufst du mich an? Wie spät ist es? 23.40 Uhr, sagte Simon.
    Suzanne spielte mit den Stiften, die auf Simons Schreibtisch herumlagen. Immer wenn sie dieses Telefon benutzt hatte, fand Simon seine Stifte in einer bestimmten Anordnung vor. Als Fächer oder als Ähre. Alle Spitzen, Kugelschreiber-, Tintenroller- und Filzstiftspitzen zeigten auf denselben Mittelpunkt. Sie fing an, sie zu sortieren, als Simon mit seinen Erklärungen anfing.
    Ich hab ihn verpasst, sagte Simon. Wie denn das, verpasst?, sagte Suzanne, man verpasst seinen Zug doch nicht zweimal hintereinander. Eben doch, sagte Simon, das kann passieren, wie du siehst. Mach dich bitte nicht über mich lustig, sagte Suzanne, sag mir lieber, was du da treibst.
    Suzanne hasste Erklärungen, sie hasste es, dass Simon sich rechtfertigte, es ist schlecht, wenn ein Mann sich rechtfertigt, ein Mann, der ohne Umwege und Fehltritte seinen Weg geht, hat so etwas nicht nötig. Zehn Jahre ohne, dachte sie, es war zu schön, als dass es hätte dauern können. Ich höre, sagte sie.
    Simon: Ich habe mich von einem Piano in Versuchung führen lassen. Suzanne: Nur von einem Piano? Simon hatte so eine gewisse Stimme. Suzanne kannte diese Stimme an ihm. Vor seinem Zusammenbruch hatte sie sie oft gehört. Nach zehn Jahren Frieden hörte sie sie wieder.
    In Simons Stimme hörte Suzanne den Alkohol, die Frau, eine Frau, eine Versuchung, die neue Liebe einer Frau, zu einer Frau, nicht zum ersten Mal. Erzähl’s mir, sagte sie.
    Männer, die die Wahrheit sagen, sind die gefährlichsten. Simon sagte sie immer. Nicht die ganze natürlich, das kann man ja nie. Er erzählte von dem Abendessen, dem kleinen Abstecher in den Club, den zwei, drei Drinks. Suzanne: Zwei oder drei? Drei. Das Trio, die Pause, das Piano, die Sängerin. Sie heißt Debbie Parker, sagte er. Der Zug war weg, nur um ein wenig Spaß zu haben, ein bisschen Spaß und dann komm ich heim, morgen früh, am späten Vormittag oder auch am frühen Nachmittag, das weiß ich noch nicht, ich weiß nicht, wann der Zug geht.
    Sie: Und wo willst du schlafen? Nun, im

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