Ein abenteuerliches Herz
Füße? Da wird ja noch der Kopf zum Bauch!« Dann sah ich ihn in das Haus zurückeilen. Er kam mit einem Knotenstock wieder und schlug mich, während er mit den Stiefeln auf meine Hände trat. Das machte mir Beine; ich sprang auf und war froh, als ich der Lektion entronnen war. Zudem wurde der Weg besser; ich beschritt ihn mit wachsender Zuversicht.
SKURRILE AUSFLÜGE, 1962, 1965, 1981
Ankunft in Orly sieben Uhr früh. Wie immer überflog man Länder und Meere, um in der Stadt nicht voranzukommen; in der Rue du Bac gab es sogar fast eine Havarie. Wir hätten um ein Haar den Autobus gestreift. Rasch das Gepäck ins Foyer und über die Brücke ins Wäldchen; es soll schon am Mittag weitergehn.
Im Wäldchen rauschen die Bäche, die Quellen, die Springbrunnen. Das schläfert ein nach der durchwachten Nacht. Will lieber in die Sonne gehen. Dort leuchtet ein Platz; eine ausgetretene Treppe führt in die Vorstädte. Sie muß sehr alt sein; in der Mitte sind die Stufen schon hauchdünn. Ein Mädchen kommt vorüber, wohl eine Hirtin; sie hält eine Heugabel in der Hand. Die beiden Zinken sind kurz wie gespreizte Finger oder wie Fühlhörner – das Kind macht ein V. Es ist im Hemde; der Saum ist so knapp, daß das Hinterteil vorleuchtet. Da wird ein böser Stiefvater zu Hause sein, ein geiziger, vielleicht auch ein lüsterner. Jetzt sieht man noch mehr, als die Kleine die Treppe hinaufstelzt wie ein Vögelchen ohne Federn und Flaum. Ich verfolge es mit den Blicken und stolpere über den Bordstein, während eine Bürgerfamilie, die über den Platz kommt, schallend zu lachen beginnt. Die Eltern führen die Kinderchen an der Hand. Ich stimme in die Heiterkeit ein – zum Teufel, man darf doch lachen, die Sache war harmlos, wenns auch nichts schadet, daß sie gekommen sind.
Nun über die Seine, den herrlichen Fluß. Er endet hier in einem Garten, ist rechtwinklig abgeschnitten wie ein Bassin. Niedrige Klippen fassen es ein. Das müssen mächtige Leute sein, die einen solchen Fluß abschneiden und sich eintun können wie andere einen Vorgarten. Freilich wird es auch Schattenseiten geben – ich sehe Vorstädter, die eingedrungen sind. Einige planschen im flachen Wasser, andere sitzen auf den Klippen, wiederum andere räkeln sich vor dem Badehäuschen herum. Der Rasen ist schon mit Abfällen bedeckt.
Ein Parkwächter kommt und sucht die Eindringlinge zu vertreiben; er watet durch das Wasser heran, hat eine blaue Mütze auf. Nun gerät er in einen Strudel, ertrinkt fast, das Zündhütchen schwimmt davon. Die Vorstädter lachen; es ist ein bitteres Brot. Dabei ists noch kühl; wenn die Hundstage kommen, werden Massen eindringen, und der Parkwächter wird gelyncht. Dem gehts noch schlimmer als der Lamballe. Ich will mich lieber davonmachen.
Das Haus des Besitzers, an dem ich vorübereile, muß fürstlich eingerichtet sein. Mit einem Seitenblick erhasche ich durch eines der großen Fenster einen roten Amazonaspapageien und, weniger deutlich, einen blauen im Hintergrund. Sie scheinen eine Kaminumrahmung als Reliefs zu zieren und müssen einem Murillo nachgebildet sein. Ich kenne das Bild aus Helenens Salon. Sie hatte dort auch einen lebenden Papageien, der sich mit dem gemalten unterhielt. Sacha hatte oft seinen Spaß daran.
Jetzt möchte ich rauchen; drüben leuchtet die knallrote Carotte eines Tabakgeschäfts. Ich trete ein – im Laden bedienen Mädchen, wie man sie auf den Plakaten sieht. Da ist so eine, gleich am Eingang, die könnte eine feine Sorte haben, so eine blonde, starke, die nach drei Zügen schwindlig macht. Ein liebes Kind, und wirklich zu schade für den Laden, begreift auch gleich mein Anliegen. Sie nimmt den Hörer ab und ruft »He, Sechsundsiebenzig« in die Muschel – das wird die Sorte sein. Da öffnet sich das Magazin; inmitten von Düften aus Kairo, Kuba und Virginien quillt ein Mädchenpensionat heraus. Sie blicken mich an und lachen, scheinen alle, mehr als mir lieb ist, im Bilde zu sein. Haben sie eine Geheimsprache, ein Chiffresystem? Das sind Schlangen, deren Windungen kein Grammatiker, kein Etymologe errät. »He, Sechs!« – »und Siebenzig?« Der Kuckuck hol mich, wenn ich da mitlache. Anderswo wird auch noch Tabak zu finden sein.
Schon muß ich an mein Gepäck denken. Immer die Sorge, daß ich den Pariser Zug verpasse; sie plagt mich bei Tag und Nacht. Habe ich den Koffer nun im Hotel gelassen oder in meiner alten Garçonwohnung? Ich gehe immer noch zuweilen dorthin, obwohl ich längst nicht
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