Ein Abenteurer und Gentleman (Historical My Lady) (German Edition)
Lande ziemlich isoliert. Alina hatte sich viel mit sich selbst beschäftigt, war oft in Tagträume verfallen und vielleicht viel argloser und naiver geblieben als andere Mädchen ihres Alters, die oft schon seit ihrem sechzehnten Lebensjahr verheiratet waren und Kinder hatten, während Alina in ihrer Traumwelt lebte … und Schießen und Messerwerfen lernte, weil ihr heimgekehrter Vater sie nichts anderes zu lehren wusste. Wenn sie ihrer Mutter Fragen gestellt hatte, dann bestimmt nicht die, die sie heute bewegten.
Als Justin in ihre Träume hineingeplatzt war und ihre Welt plötzlich viel realer gemacht hatte, hatte sie niemanden, an den sie sich um Rat hätte wenden können. Doch das war nicht seine Schuld.
Was ihn betraf, hatte sie alles verpfuscht. Jung wie sie war, hatte sie sich ungeschickt und wahrscheinlich viel zu ehrlich verhalten. Anstatt ihm zu helfen, hatte sie möglicherweise alles noch schlimmer gemacht.
Sie musste aufhören, sich und andere zu belügen.
Unwillkürlich schaute sie auf ihre verkrampften Hände nieder. „Es ist bedeutungslos. In ein paar Tagen bricht er auf nach Amerika, für immer. Weil er zu viele Brücken hinter sich abgebrochen hat, und weil sein Leben vorbei ist, und in dem kläglichen Rest ist kein Platz für mich, versteht ihr?“
Und dann brach sie in Tränen aus … und schüttete diesen beiden wunderbaren, warmherzigen Frauen, die ihre Schwestern hätten sein können, ihr Herz aus.
England und seine Grafschaften waren einfach unvergleichlich schön. Justin hatte ganz Europa bereist, hatte Städte und Dörfer gesehen, Weinberge, schneebedeckte Gebirge und fruchtbare Flusstäler, kannte Athen und Rom, Wien und Moskau. Und doch war das alles nichts gegen sein schmuckes, friedliches England mit den ordentlich gepflügten Feldern, den allgegenwärtigen Kirchtürmen, antiken Ruinen und prachtvollen Herrenhäusern, den blitzblanken Dörfern und saftigen Wiesen. Selbst der Regen war anders in England.
Er musste endlich ehrlich sein, wenigstens zu sich selbst. Dies war sein Land, seine Heimat. Es ging nicht immer richtig zu, seine Regierung war nicht immer klug, seine Kriege nicht immer gerecht. Es gab Armut und Gier. Aber auch viel, viel Gutes. Es war sein England, mit dem er sich endlich abfinden sollte.
Auf einem Hügelkamm zügelte er sein Pferd und blickte hinunter auf Basingstoke, wo Alina auf ihn wartete. Er fragte sich, was sie beim Anblick dieses prachtvollen Adelssitzes gedacht hatte, der sogar größer war als Ashurst Hall. Wahrscheinlich war sie sehr beeindruckt gewesen; ihn jedenfalls hatte es beeindruckt.
Sein eigener Besitz in Hampshire war nur halb so groß, wenn auch, wie Justin fand, ebenso reizvoll, und wenn jemand glaubte, mehr als zwanzig Schlafräume zu benötigen, lebte derjenige ohnehin in einer anderen Welt als er.
Alina würde diesen Besitz, dessen Erinnerung er während der letzten acht Jahre in seinem Herzen getragen hatte, vielleicht nie sehen, denn möglicherweise fand der Prinzregent einen Weg, das Gut, auf dem seine Familie seit Jahrhunderten lebte, zu konfiszieren. Aber ihr bliebe wenigstens sein Stadtpalais und das Landgut in der Nähe von Malvern, obwohl das um einiges kleiner war.
Wie sie dort lebte, würde er nicht zu sehen bekommen, würde nie erleben, wie sie die Gesellschaft mit ihrer reizenden Art und ihrer klugen Unschuld bezauberte, würde nie mit ihr im Schein unzähliger Kerzen übers Tanzparkett wirbeln. Denn bald würde die halbe Welt zwischen ihnen liegen.
Und es war alles seine Schuld.
Warum hatte er, zum zweiten Mal in seinem Leben, gehandelt, ohne auch nur einen Gedanken an die Folgen zu verschwenden?
Das erste Mal hatte er unbedacht reagiert, als der Arzt, der dem Duell beiwohnte, rief: „Vorsicht, er dreht sich!“ Es hatte Robbie Farber das Leben gekostet und ihn selbst seine Heimat.
Und nachdem er acht lange Jahre über die Gefahren aufgezwungener Duelle hatte nachgrübeln dürfen, warum hatte er dann anschließend getan, was er getan hatte? Was war ihm zu Kopfe gestiegen, dass er sich mit dem Prinzregenten angelegt, tatsächlich gedroht hatte, ihn zu erwürgen?
Er wusste genau, warum. Wegen Alina. Er war in der irrigen Annahme gefangen gewesen, sie schützen zu müssen, und hatte überhaupt nicht an sich selbst gedacht.
Nein, das stimmte nicht ganz – er war außerdem wütend gewesen, absolut in Rage, dass der Prinzregent die verlockende Aussicht auf einen Neuanfang vor seiner Nase baumeln ließ wie die
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