Ein Alptraum für Dollar
fliege ich mit Constance weg. Einen Tag, hören Sie? Keine Minute länger!«
»Ich werde mein Bestes tun. Hoffen wir also, daß der Mörder gut erzogen ist und pünktlich erscheint!«
In der Nacht zum 18. Mai 1929 werden im College sehr diskret die beiden Mädchen ausgetauscht. Der freiwillige Köder der Polizei zieht in Constances Zimmer ein, während das tapfere 15jährige Mädchen, das wochenlang seine Rolle meisterhaft gespielt hat, von Sicherheitsmännern nach Engelwood gebracht wird. Ein sehr gefährliches Unternehmen, das aber so sorgfältig geplant und durchgeführt wurde, daß der Mörder nichts merken konnte.
Am nächsten Tag, Punkt 19 Uhr 10 — strikt nach den Anweisungen — verläßt die falsche Constance das College mit einem Päckchen unter dem Arm. Die ganze Maschinerie setzt sich in Bewegung. Alles läuft auf die Minute genau nach Plan, ja auf die Sekunde.
Es ist schon dunkel, als sie endlich in der kleinen abgelegenen Straße ankommt, wo sie das Päckchen über eine Mauer werfen soll. Es wimmelt von Polizisten — aber sie sind in der Tat unsichtbar! Bei der sechsten Straßenlaterne soll sie halten, fünf Minuten warten und das Geld genau an dieser Stelle über die zwei Meter hohe Mauer werfen. Jetzt! Dann dreht sie sich um und rennt davon, wie die echte Constance es bestimmt auch getan hätte. Das Päckchen liegt nun in einem verwilderten Garten im Gras. Die Polizisten können durch ihre Ferngläser beobachten, was ringsherum geschieht. Es geschieht aber nichts. Und es vergeht eine Viertelstunde, eine halbe Stunde, eine Stunde... Immer noch nichts. Es ist jetzt stockdunkel. Wahrscheinlich wartet der Mann ganz ruhig in der Nähe. Er kann sich ja Zeit lassen. James Travers würde an seiner Stelle auch warten. Zwei, drei Tage lang. Warum nicht? Das Geld liegt da sicherer als in einem Tresor! »Nur einen Tag...« hat Lindbergh gesagt. Bis morgen abend also. Das wird knapp!
Die Nacht nimmt keine Ende. Die Zeit scheint stehen zu bleiben.
Als der neue Tag dämmert, erwacht die Stadt mit den frischgedruckten Morgenzeitungen. Und da schreit er schon, der kleine Junge, der in aller Herrgottsfrühe die Weltsensationen auf der Straße verkauft:
»Charles Lindberghs Nachtflug! Eine Woche vor seiner Hochzeit fliegt Lindbergh mit unbekanntem Ziel davon! Mrs. Morrow und ihre Töchter Anne und Constance mit Lindbergh weggeflogen! Unsere Reporter verfolgen ihn! Alle Einzelheiten in der nächsten Ausgabe! Charles Lindberghs Nachtflug! Eine Woche vor seiner Hochzeit...«
Verdammt noch mal!
James Travers kocht vor Wut! Alles umsonst! Die ganze Aktion kann abgeblasen werden. Jetzt wird der Mörder sein Geld ganz bestimmt nicht mehr holen! Dieser Lindbergh! Und er hat auch noch an die amerikanische Botschaft in Mexico telegraphiert, falls der Mörder schwer von Begriff sein sollte! Und nun ist Mr. Morrow auf dem Weg nach Washington... Das alles erfährt der tobende Polizeichef, als er wie eine Furie in sein Büro stürmt: »Der fliegende Narr! Ja, genau das! Der hat wirklich einen Vogel! Einsamer Adler! Er wird schon sehen, wie sie aussieht, die Einsamkeit, dort auf seiner verlorenen Insel!«
Als »Lone Eagle« sein Wasserflugzeug bei der kleinen einsamen Insel North Haven landet, ist alles ruhig. Eine geradezu idyllische Abendstille. Doch kaum ist er mit seinen drei Passagieren zwanzig Meter auf dem Steg gelaufen, da wirbeln schon Schwärme von Journalisten aus allen erdenklichen Verstecken heraus. Er wurde erwartet!
Jetzt endlich begreift Lindbergh, wie recht die Polizei hatte. Bei dieser sensationshungrigen Menschenmasse ist Constance mehr denn je in Gefahr. Und er ist schuld! Erst jetzt wird ihm klar, was es bedeutet, der »Held der Nation« zu sein und wie tödlich seine Popularität werden kann. Er muß fliehen, weiterfliegen. Dieser Nachtflug wird zum Alptraum. Zuerst versucht er in Hempstead Harbour zu wassern, muß aber gleich durchstarten Richtung Handy Point. Dort kreist er einmal über der Landestelle, schiebt aber sofort den Knüppel zu einem steilen Slip hinüber und nimmt Kurs auf Manhasset Bay. Aber es ist überall dasselbe. Er hat keine Chance, wieder hinunterzukommen, ohne gefangen zu werden. Eine erbarmungslose Jagd. Nicht einmal weit weg auf dem Atlantik könnte er in Ruhe abwarten, denn auch die Schiffe sind alle im Einsatz.
Was ist los mit »Lone Eagle«? Warum fliegt er mit den Morrows so kurz vor der Hochzeit wie ein Irrer nachts herum? Was steckt dahinter?
Lindbergh hat keine Wahl,
Weitere Kostenlose Bücher