Ein Alptraum für Dollar
Ein persönliches Geschenk!« verkündet der Despot und schwenkt schelmisch lächelnd das grüne Dokument vor der Nase seines wenig begeisterten Gastes.
»Es ist nur eine kleine Aufmerksamkeit von mir, als Dank für Ihre ausgezeichnete Idee. Nehmen Sie nur!« Muzzafar ad-Din konnte William Know in der Tat dankbar sein. Als Know das Erdöl-Unternehmen hatte einstellen müssen, machte er sich weiterhin Gedanken, wie er der Bevölkerung vielleicht doch noch helfen könnte. Im ganzen Land gab es zu diesem Zeitpunkt keinerlei Verkehrsverbindungen. Und die Menschen, die nicht einmal sehr weit von der Hauptstadt entfernt in ärmlichen Zelten hausen mußten, hatten keine Möglichkeit, nach Teheran zu fahren, wo sie sicherlich bessere Arbeitsbedingungen gefunden hätten.
Da kam William Know auf eine für die damalige Zeit erstaunliche Idee: Er ließ eine Eisenbahnlinie um Teheran herum bauen! Für dieses Projekt bekam er zwar auch keinen Dinar vom Schah, der anscheinend wenig Sinn für moderne technische Neuheiten hatte — aber viele Geldgeber im In- und Ausland witterten dabei sofort ein gutes Geschäft und finanzierten das ungewöhnliche, sehr bald blühende Unternehmen. Nach kurzer Zeit schon konnte Know die Schulden zurückzahlen und gewann ebenso schnell die Freundschaft des Schah. Der Monarch hatte wie üblich zuerst nur »ja, ja, ja« gesagt. »Eine Eisenbahn? Warum nicht? Ein nettes Spielzeug, besonders, wenn verrückte Leute dafür ihr Geld ausgeben wollen. Machen Sie nur, wenn’s Ihnen Spaß macht.«
Erst später begriff Muzzafar ad-Din, daß durch die Eisenbahn viel Geld in die Staatskasse buchstäblich rollen könnte — und er verhängte sofort eine Steuer auf die Fahrpreise. Dieser Einfall brachte ihm zwar Feinde im Volk, dafür aber Freunde in der Regierung.
Und deshalb will er sich heute bei William Know erkenntlich zeigen. Unter der Bedingung, daß es ihn nichts kostet — das versteht sich von selbst.
Der Neuseeländer ist verrückt nach diesem Erdöl? Nun, er soll welches bekommen. So viel er mag! Bei Rheuma und Haarausfall wirkt es Wunder — sagt man. Ein amerikanischer Öl-Fanatiker behauptet es jedenfalls — ein gewisser Rocke... Rockefeller! Endlich legt Muzzafar ad-Din das grüne Dokument in die Hand seines neuen Freundes:
»Hier, lesen Sie, lesen Sie laut, was da steht!«
William nimmt das Blatt aus der grünen Mappe und liest also laut:
»Wir, Muzzafar ad-Din, Kaiser der Kaiser, Herrscher vom Mond bis zu den Tiefen der Gewässer, durch den Willen des Propheten, wir, Schah von Persien, räumen Mister William Know d’Arcy sowie seinen Erben oder jeder Person im Besitz dieses Dokuments, das uneingeschränkte Recht ein, sechzig Jahre lang, alle Erdölvorkommen unseres Territoriums, als sein persönliches Eigentum zu betrachten.
Muzzafar ad-Din — Teheran — 1901.«
William Know starrt auf das kaiserliche Siegel und die Unterschriften aller Regierungsmitglieder.
Kleine Geschenke fördern die Freundschaft — das ist bekannt. Und so überreicht Mr. Know dem großzügigen Schah auch eine kleine Aufmerksamkeit: 200 000 Gold-Francs. Ferner besteht er darauf, sich Persien gegenüber zu verpflichten, 16% seines künftigen Gewinns aus der Erdölförderung regelmäßig der Staatskasse zukommen zu lassen. Dann steckt er das »grüne Dokument« lässig in seine Tasche.
Sechs Jahre später läuft ein Schiff von Port-Saïd Richtung Marseille aus. Die Passagiere drängeln sich an der Reling, nehmen Abschied von ihren Angehörigen und Freunden.
Zwei Menschen an Bord halten sich der Menge fern.
Ein alter Mann liegt auf einem Deck-Chair in ein Plaid gehüllt, obwohl selbst im Winter das ägyptische Klima sehr mild ist. Wehmütigen Herzens schaut er, wie die orientalische Welt, die er so sehr liebt, nach und nach in der Ferne verschwindet. Er wäre lieber hier gestorben, in seiner zweiten Heimat — aber er muß zurück nach London.
Einige Meter von ihm entfernt geht ein anderer Mann, ein junger Mann, einsam an Deck auf und ab. Ein protestantischer Pastor, schwarz gekleidet und kahl geschoren. Am selben Abend sitzen beide im eleganten Speisesaal — jeder für sich allein an seinem Tisch. Gleich nach dem Diner gehen sie in ihre Kabinen, ohne mit den anderen Passagieren auch nur ein Wort gewechselt zu haben. Sie nicken nur — höflich, artig. Keine Frage, es sind Einzelgänger, die schon am Anfang der Reise allen zu verstehen geben, man möge sie bitte in Ruhe lassen. Am dritten Tag trifft der
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