Ein Alptraum für Dollar
Familienverhältnisse<, was weiß ich! Nur weil die Eltern sich nach achtzehn Jahren Ehe mal richtig die Meinung gesagt haben! So ein Blödsinn!«
J.P. Marchand ist außer sich. Er ist Jugendrichter und liebt seinen Beruf über alles. Und wenn er in einer solchen Verfassung ist, ja, dann ist es sinnlos, ihn beruhigen oder gar aufmuntern zu wollen. Das weiß Monique genau. Also besser, sie erwähnt nicht einmal die Begegnung mit ihrer Freundin. Eine solche Bagatelle würde Jean-Pierre heute nur auf die Palme bringen!
Und Monique vergißt bald die ganze Angelegenheit. Zwei Tage später.
Die ersten Frühlingssonnenstrahlen locken Monique aus ihrem Haus, und sie beschließt, einen gemütlichen Schaufensterbummel zu machen. Gutgelaunt schlendert sie durch die Innenstadt und kommt zufällig an der Rue Kléber vorbei. Da fällt ihr Nicole wieder ein. »Bei welchem Geschäft wollte sie mich unbedingt gesehen haben? Mit den tollen neuen Klamotten? Ach ja, bei >Quatre-Saisons Nicole hat nicht übertrieben. Das Schaufenster des berühmten Modegeschäfts ist sehr verlockend! Die Dekorateure haben eine wunderschöne, grüne Landschaft hingezaubert, eine sommerliche Idylle, die die ausgestellten Modelle fabelhaft zur Geltung bringt. Luftige Kleider und Blusen, schicke Kostüme, exquisite Accessoires. Und ein Regenbogen verkündet: »Exklusive Pariser Modelle eingetroffen! In jeder Größe, nur Einzelstücke!« Unschlüssig steht Monique vor diesem Tempel lokaler Eleganz. Bei »Quatre-Saisons« hat sie noch nie etwas gekauft, viel zu teuer! Aber heute gibt sie sich einen Ruck und betritt zum ersten Mal den noblen Laden.
»Guten Tag, gnädige Frau. Darf ich Ihnen behilflich sein?«
Die Verkäuferin — dezent gekleidet, dezent geschminkt, dezent parfümiert — verkörpert Geschmack par excellence. Aber, wie gesagt: dezent! So daß die empfindlichen Kundinnen selbstverständlich immer von einer etwas höheren Stufe herabschauen können.
Also nein, hier fühlt sich Monique nicht besonders wohl, denn eigentlich möchte sie ja nur, ganz dumm, nach dem Preis fragen. Aber ihr ist klar: In diesem Modeparadies wäre eine solche Frage Blasphemie!
»Gnädige Frau, darf ich Ihnen unsere Modelle vorführen lassen?«
»Hm, nein danke. Das Kostüm ganz links im Schaufenster...«
»>Alouette Ja, ich erinnere mich genau! Hatten Sie vielleicht Probleme damit?«
»Probleme? Nein, ich möchte es nur kaufen... Das heißt... vielleicht!«
»Ich bedauere, gnädige Frau, aber wir halten unser Versprechen. Wir verkaufen jedes Modell nur ein einziges Mal in jeder Größe. Es freut uns aber, daß es Ihnen so sehr gefällt, daß Sie es gleich zweimal haben möchten! Leider ist das nicht möglich!«
»Verzeihung... Sie meinen... ich hätte dieses Kostüm schon einmal gekauft? Da müssen Sie sich aber irren! Ganz bestimmt!«
»O nein, gnädige Frau, ganz bestimmt nicht ! >Alouette<, Größe 38. Es paßte Ihnen wie angegossen!«
Ziemlich irritiert versucht Monique die Verkäuferin davon zu überzeugen, daß es sich nur um eine Verwechslung handeln kann, doch es hilft nichts:
»Ich bitte Sie, gnädige Frau! Aus welchem Grund sollte ich so etwas behaupten, wenn ich mir nicht vollkommen sicher wäre?! Ich weiß sogar noch, daß Ihr Gatte... ich meine... der Herr, der Sie begleitete... recht groß war und einen Bart trug.«
In diesem Augenblick verliert Monique die Fassung. Schroff unterbricht sie die Verkäuferin:
»Mein Mann ist recht groß, ja! Und er trägt einen Bart, ja! Woher wissen Sie das eigentlich? Wir waren noch nie in diesem Geschäft!«
In diesem Geschäft ist man derartig heftige Ausbrüche nicht gewöhnt. Die Verkäuferin bleibt jedoch gefaßt und antwortet nur in beißendem Ton:
»Gnädige Frau. Ich verstehe nicht, warum Sie so unfreundlich werden. Unser Haus ist stolz darauf, jede Kundin wiederzuerkennen, auch wenn sie nur einmal bei uns war. Und ich erkenne Sie. Aber bitte, wenn Sie mir nicht glauben wollen, es ist ganz einfach, die Sache nachzuprüfen. Unsere Kassiererin notiert immer Namen und Adresse aller Kunden, damit wir sie persönlich zu unseren Modeschauen einladen können. Würden Sie mir bitte folgen, gnädige Frau?«
Es ist wirklich kein Problem, die Sache nachzuprüfen. Am letzten Mittwoch kaufte ein gewisser Herr J. P. Marchand das Kostüm »Alouette«. Größe 38. Und zahlte mit einem Scheck. 1200,-fr.
Fassungslos steht Monique wieder auf der Straße.
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