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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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hatte sich geweigert, mit Hayes zu kämpfen, weil er dessen Brief gelesen hatte. Und das würde er niemals erklären können.
    Auf seinem Schreibtisch lagen Fahnen, die Andrucke von« Coleridge heute». Er breitete sie vor sich aus und versuchte sie zu redigieren. Noch vor einer Stunde hätte er jedes Wort, jede Silbe akribisch genau geprüft, aber jetzt tanzte das Blatt sinnlos vor ihm auf und ab … Plötzlich legte er den Stift hin. Etwas weit Wichtigeres hatte seine zitternden Nerven beruhigt. Was hatte Eric Rauch gemeint mit:«Sie haben in letzter Zeit wohl die Russen gelesen»? Wer waren«die Russen», und wieso hatte Vance noch nie von ihnen gelesen oder gehört? Bei dem bloßen Gedanken kam er innerlich zur Ruhe, und Bunty Hayes und sein Geschimpfe verwehten wie Spreu im Wind.
    « Noch heute finde ich heraus, wer das ist», beschloss Vance und machte sich wieder an die Arbeit.

FÜNFTER TEIL

24
    An diesem Abend kam Tarrant spät und übellaunig nach Hause. Seine Frau hätte sich mit Recht über seine späte Heimkehr ärgern können, denn sie wollten am nächsten Tag in die Weihnachtsferien nach Eaglewood fahren, und vieles war noch nicht geregelt, aber sie empfing ihn mit ihrem unbestimmten kurzsichtigen Lächeln und der Miene eines Menschen, den nichts auf Erden ärgern kann.
    Beim Essen führte sie seine schlechte Laune und Schweigsamkeit auf Überanstrengung zurück und auf das Bemühen, sich vor dem Hausmädchen keine Blöße zu geben. Die erste Nummer der«Neuen Stunde» – man hatte Frensides Umbenennung übernommen – sollte am 2. Januar erscheinen, und die dazwischenliegende Woche war ungünstig für Korrekturen. Kein Wunder, dass der Herausgeber nervös war.
    Bei Kaffee und Zigarre brach es aus ihm hervor. Ob sie es glaube oder nicht, dieser verfluchte Frenside-Schützling, dieser Wildling aus dem Mittleren Westen … ja, Weston … habe die Redaktion zum Bierzelt gemacht … Ja, heute Nachmittag. Empörend … Na ja, ein betrunkener Kerl sei dahergekommen und habe versucht, sich mit ihm zu prügeln, und Weston habe doch tatsächlich gekniffen … zum Glück, sonst hätten sie noch die Polizei im Haus gehabt … und der andere hätte Hackfleisch aus ihm gemacht … Widerwärtig … er habe Weston bereits gesagt, was er davon hielt … Und natürlich wegen einer Frau …
    « Einer Frau?», wiederholte Halo überrascht.«Aber er hat doch erst geheiratet?»Ja, da sehe sie es, sagte er mit vielsagendem Achselzucken. So sei er eben, Frensides Schoßhündchen, treibe sich noch vor Ende der Flitterwochen mit Frauen herum …
    Die Zigarre zog nicht so gut wie sonst. Tarrant erhob sich und schritt verärgert auf und ab. Widerwärtig … er werde das nicht dulden, wiederholte er. Er habe gute Lust, den Dummkopf auf der Stelle an die Luft zu setzen … ein Feigling obendrein, das sei das Schlimmste. Er warf die Zigarre ins Feuer und griff nervös nach der nächsten.
    In ihren tiefen Sessel zurückgelehnt, blickte Halo mit müßiger Neugier zu ihm auf.«Lewis, bist du nicht einfach nur überarbeitet, überdreht?», fragte sie.
    « Einfach nur …?»
    « Ich meine, bist du nervlich nicht sehr abgespannt? Du wirkst fix und fertig.»Sie wies mit einer einladenden Geste auf den gegenüberstehenden Sessel.«Setz dich und zünde dir eine Zigarre an. Wer hat dir überhaupt diesen albernen Bären aufgebunden? »
    « Bären aufgebunden?»Er wurde blass vor Wut, und sie merkte, dass sie sich geirrt hatte.«Niemand, den musste mir niemand aufbinden. Ich war nämlich dabei. In der ersten Reihe. Ich habe genau gesehen, wie der Rüpel Weston geohrfeigt und Weston ihm die andere Wange hingehalten hat. Genau das.»
    Halo kam ins Grübeln, verdutzt, doch immer noch gelassen.« Aber dass der Grobian betrunken war – ist das nicht Grund genug?»
    « Und warum hat Weston sich nicht gewehrt?»
    « Nicht in der Redaktion. Versetz dich doch einmal an seine Stelle.»
    Tarrant kannte nur wenige Stellen, die er für wert erachtet hätte, sich an sie zu versetzen.«Vielen Dank, meine Liebe. Wie es der Zufall will, wollen sich mit mir keine fiesen Kerle prügeln.»
    « Ich dachte, das könne jedem Mann passieren, auch unabsichtlich. »Sie schwieg kurz und dachte nach.«Immerhin hat es dem jungen Weston anscheinend nicht allzu viel ausgemacht», bemerkte sie mit einem rückblickenden Lächeln.
    Durch den neuerlichen Zigarrenqualm sah sie, wie Tarrant vor Misstrauen errötete.«Ich weiß nicht, wie viel es ihm ausgemacht hat; er hat sich

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