Ein altes Haus am Hudson River
Phantasie nährten – wenn es dazwischen überhaupt eine Trennungslinie gab. Denn Laura Lou schien gleichermaßen zu seinem Leib und seiner Seele zu gehören – nur seinen Geist ließ sie unbefriedigt. Zur Welt seines Geistes mit seiner verzehrenden Neugier und seinen glühenden Freuden würde sie niemals Zugang haben, ja nicht einmal entdecken, dass diese Welt überhaupt existierte. Manchmal, wenn eine neue Idee in ihm wuchs wie eine Leidenschaft, verlangte es ihn schmerzlich danach, sie mit ihr zu teilen, aber nicht lange. Er hatte diese Art von Gemeinschaft nie kennengelernt, hatte sie bei seinen ersten Gesprächen mit Halo Spear, als jedes ihrer Worte ein Schlüssel zu neuen Entdeckungen war, nur tastend und staunend erahnt. Er wusste jetzt, dass Halo und er gemeinsam auf diesen«flammenden Mauern» 71 hätten gehen können, aber er hatte einen tiefer liegenden Weg gewählt. Und schließlich war er dort glücklich; geistige Einsamkeit war ihm viel zu vertraut, als dass sie ihn belastet hätte.
Unterdessen nahm die Geschichte mit dem Titel«Anstatt»Gestalt an. Sie begann mit einer Beschreibung von The Willows und sollte davon handeln, wie sich in einer Seele, die ihren Frieden mit der Welt gemacht hat, auf geheimnisvolle Weise die persönlichen Werte verschieben. Der Anfang war rasch geschrieben, er musste nur den Geist des Ortes auf sich wirken lassen, schon formte sich das Bild unter seinem willigen Stift von selbst. Das rechtfertigte seine tägliche Flucht nach The Willows – er musste den Roman so schnell wie möglich schreiben, um die Zinsen für sein Darlehen bezahlen zu können …
Doch eines Tages legte er den Füllfederhalter nieder und stellte – wie schon so oft – bestürzt fest, dass er zu wenig über sein Sujet wusste, um fortfahren zu können. Seine Erinnerung wanderte zurück zu seinem ersten Blick auf The Willows, als er mit Laura Lou und Upton hierhergekommen war. Damals war ihm eingefallen, dass er Jahre zuvor als kleiner Junge in Euphoria einmal nachts wach geworden war und die Glocke der katholischen Kirche hatte schlagen hören. Dieser erhabene, hallende Ton hatte wie der Schall aus Josuas Trompete die Mauern der Gegenwart zum Einsturz gebracht, 72 und der kleine Junge hatte zum ersten Mal in die Vergangenheit geblickt. Als er The Willows zum ersten Mal sah, war dieser weit zurückliegende Eindruck wieder in ihm erwacht, und er hatte gespürt, dass das alte Haus gedämpfte Glockentöne barg, die seine Hand zum Klingen bringen konnte, wenn er nur das Seil fand … Seither waren Jahre vergangen, und er hatte vieles gelernt. Seine Hand war dem Seil näher gekommen, es war«warm», wie die Kinder sagen. Doch wenn er versuchte, jene Elinor Lorburn heraufzubeschwören, die im Ballsaal getanzt und sich vor dem schräg stehenden Toilettenspiegel Blumen ins Haar gewunden hatte, blieben die Mauern stumm. Er konnte sie nicht zum Leben erwecken.
Wieder empfand er schmerzhaft und als Mangel, wie dürftig seine ererbte Erfahrung war und wie gewaltsam der Bruch mit allem Vorangegangenen. In Advance und später in Euphoria hatten sich am 4. Juli die Festredner (allen voran Großvater Scrimser) ausführlich über die unschätzbaren Tugenden verbreitet, die die Pioniere in die Wildnis mitgebracht hatten. Manchmal kam es Vance vor, als hätten sie die kostbarste zu Hause gelassen …
Er glaubte, im Halbdunkel Schritte zu hören, und blickte vom Schreiben auf.«Vance!», rief Halo Tarrant. Da stand sie in der Tür zum Salon und machte ein derart verblüfftes Gesicht, dass Vance aufsprang und angesichts ihres Schreckens seine eigene Überraschung vergaß.«Was … ich dachte, Sie sind in Europa!», sagte er.
« Dort sollte ich auch eigentlich sein.»Sie errötete ein wenig.« Aber dann habe ich in letzter Minute abgesagt.»Sie trat einen Schritt näher.«Sie haben nicht gehört, dass ich in Eaglewood bin?»
« Nein, das wusste ich nicht.»
Sie lächelte leicht.«Nun, ich wusste ja auch nicht, dass Sie in The Willows sind. Aber als ich eben am Tor vorbeikam, sah ich, dass es offen stand …»(O zum Teufel, dachte Vance, wie hatte er nur das Vorhängeschloss vergessen können?)«Und da mir klar war, dass es heute, unter der Woche, nicht Mrs Tracy sein konnte, wollte ich nachsehen, wer hier ist.»
Ihr Blick schien eine Erklärung zu verlangen, und er murmelte:« Mrs Tracy war krank …»
« Ich weiß, das tut mir leid. Und Sie vertreten sie?»
« Es gab niemand anderen. Zuerst kam ich nur samstags,
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