Ein altes Haus am Hudson River

zu erkennen, und als«Licht der Seele»ihr angeboten habe, die Rückfahrkarte für sie und Saidie zu bezahlen, habe sie den«Suchenden»telegrafiert, sie komme sofort. Vance brauche sich keine Gedanken zu machen, sie und Saidie würden bei einer Mrs Lotus Mennenkoop wohnen, einer reizenden Frau in Bronxville, einer«Suchenden», aber natürlich müsse sie ihren Jungen sofort nach der Ankunft sehen und auch ihre neue Enkelin kennenlernen. Ob Vance sie gleich bei Mrs Mennenkoop besuchen wolle?
    Vance starrte auf die große, zittrige Schrift, die so sehr dem ausufernden Körper seiner Großmutter glich. Um die«Suchenden »scherte er sich keinen Deut, aber bei der Aussicht, Mrs Scrimser zu treffen, stiegen seine Knabenjahre wieder vor ihm auf. Sie war das einzige Menschenwesen, das er damals, als sich sein Universum auf die wenigen Meilen zwischen Euphoria und Crampton beschränkte, wirklich geliebt hatte. Die anderen, die Eltern, sogar die Schwestern, waren nur das mehr oder weniger bequeme Mobiliar seines Lebens gewesen; aber die Seele der Großmutter und seine eigene hatten einander berührt … Er träumte sich zurück auf die Veranda von Crampton, roch den verwilderten Flieder, hörte das Bimmeln der Straßenbahn von Euphoria und wie seine Großmutter sagte:«Ist dir an einem solchen Tag nicht zumute, als könntest du durch das Blau da oben direkt zu Gott gelangen?»Er erinnerte sich, dass er ziemlich gereizt geantwortet hatte, er habe nicht das Gefühl, dass ihn irgendetwas Gott näherbringe, aber heute war er immerhin dem Verständnis dessen nähergekommen, was sie gemeint hatte. Was sie«Gott»nannte, war vielleicht das Gleiche, was er«Die Mütter»nannte – dieses geheimnisvolle Meer des Seins, dessen dunkle Ausläufer in seiner Seele wogten und munkelten. Vielleicht beschrieb ein Symbol so gut wie das andere jenen unsichtbaren Punkt, an dem das flüchtige menschliche Bewusstsein an die Unendlichkeit rührte …
    Merkwürdig, dass dies gerade geschah, als er mit dem Gedanken spielte, nach Euphoria zurückzukehren. Der Brief seiner Großmutter, die Aussicht, sie in wenigen Tagen zu sehen, ließen die Rückkehr nach Hause leichter und natürlicher erscheinen. Sobald sie und Laura Lou sich kennengelernt hätten, wollte er sich entscheiden … Er war überzeugt, dass die beiden einander lieb gewinnen würden.
    Mrs Scrimser bat ihn, sie am Tag ihrer Ankunft um sechs Uhr anzurufen, und er hoffte, sie für den nächsten Morgen zu einem Besuch bei Laura Lou bewegen zu können, die immer noch Fieber hatte und das Bett hüten musste. Laura Lou war aufgeregt und glücklich bei der Aussicht auf einen Gast; er merkte an ihrem Eifer, wie sehr sie unter der erzwungenen Einsamkeit ihres Lebens in New York litt.«Vielleicht macht sie einen kleinen Spaziergang mit mir, wenn es mir besser geht», sagte sie mit ihrem verhärmten Lächeln.«Ich würde auch mit dir spazieren gehen, wenn du das möchtest», erwiderte Vance, sich seiner Scheinheiligkeit bewusst; aber sie antwortete ausweichend:« Wie könntest du das, bei all deiner Arbeit?»
    Der Tag kam, und Vance wartete in der Redaktion, weil er von dort Mrs Mennenkoop anrufen wollte, als man ihm sagte, Mrs Spear sei für ihn am Telefon. Es war einige Zeit her, seit er Mrs Spear gesehen hatte, und er fragte sich etwas nervös, ob sie womöglich eine Nachricht von ihrer Tochter überbrachte. Das Blut sauste ihm in den Ohren, und er erfasste kaum, welche Worte da aufgeregt aus dem Hörer purzelten. Doch plötzlich hörte er zu seiner Überraschung den Namen seiner Großmutter.« Denken Sie nur, Vance, ich wusste nicht, dass Mrs Scrimser – die große Mrs Scrimser – Ihre Großmutter ist! Sie hat es mir am Telefon soeben selbst gesagt… Aber ja, wussten Sie das nicht? Sie kommt heute Abend zu einem Vortrag in unseren Salon … Natürlich wissen Sie, dass ich bei den ‹Suchenden› bin? … Nein, nicht?»Mrs Spear war immer aufrichtig erstaunt, wenn die Spatzen nicht alles, was sie oder ihre Familie betraf, von den Dächern pfiffen.«Aber ja, das ist mein Leben, Vance, mein wahres Leben … so fabelhaft … und jetzt soll ich die Ehre haben, dieses wunderbare Wesen unter meinem Dach zu begrüßen … Sie müssen natürlich kommen, Sie und Laura Lou … Ihre Großmutter bat mich, Ihnen auszurichten, Sie sollen nicht nach Bronxville fahren; sie trifft sich lieber hier mit Ihnen. Der Zug hatte Verspätung, ihr bleibt kaum noch Zeit, ein wenig auszuruhen und sich zu sammeln – wie