Ein amerikanischer Thriller
Und Sie stellen dabei sowohl Ihren ein-
maligen persönlichen Schneid unter Beweis als auch einen
damit verbundenen Respekt für meine Person, der sehr an-
sprechend ist. Wissen Sie, was das bedeutet?«
»Nein, Sir. Das weiß ich nicht.«
»Das bedeutet, daß ich was für Sie übrig habe und bei
Ausrutschern ein Auge zudrücke, für die ich andere Agenten
vierteilen würde. Sie sind ein gefährlicher und skrupelloser
Mann, aber Sie verfügen über einen verführerischen Charme.
Das gleicht Ihren Hang zur Zügellosigkeit aus und macht
es mir möglich, Sie zu mögen.«
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FRAG NICHT, »WAS FÜR AUSRUTSCHER?« – SONST
SAGT ER DIR’S UND MACHT DICH FERTIG.
»Sir, Ihr Respekt bedeutet mir sehr viel, wobei er ganz
und gar auf Gegenseitigkeit beruht.«
»Das Wort ›Zuneigung‹ fehlt in Ihrer Antwort, aber ich
will die Angelegenheit auf sich beruhen lassen. Und damit zu
unseren Geschäften. Sie bekommen von mir die Möglichkeit,
zwei ordentliche Gehälter auf einmal einzustreichen, was Sie
zweifellos grenzenlos glücklich machen dürfte.«
Hoover lehnte sich zurück, um genüßlich auf seine Frage
zu warten.
»Sir?« sagte Kemper.
Die Limousine beschleunigte. Hoover rückte die Krawatte
zurecht.
»Die jüngsten Unternehmungen der Kennedy-Brüder
machen mir Sorgen. Bobby scheint das Mandat des Mc-
Clellan-Ausschusses zur Aufklärung verbrecherischer Ge-
werkschaftsumtriebe zu mißbrauchen, um das FBI in den
Schatten zu stellen und die Präsidentschaftsbestrebungen
seines Bruders zu befördern. Das mißfällt mir. Ich habe
das Büro schon vor Bobbys Geburt geleitet. Jack Kennedy
ist ein degenerierter liberaler Playboy mit den moralischen
Überzeugungen eines auf Mösen dressierten Bluthunds. Im
McClellan-Ausschuß spielt er sich als Verbrechensbekämp-
fer auf, und allein die Tatsache, daß es diesen Ausschuß
gibt, kommt einer heimlichen Ohrfeige für das FBI gleich.
Der alte Joe Kennedy ist fest entschlossen, seinem Sohn das
Weiße Haus zu kaufen, und ich möchte über Informatio-
nen verfügen, die mich, falls ihm dies denn gelingen sollte,
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in die Lage versetzen, wenigstens die allerübelste politische
Gleichmacherei des Bürschchens auf ein erträgliches Maß
zu mildern.«
Kemper reagierte aufs Stichwort. »Sir?«
»Ich möchte, daß Sie in der Kennedy-Organisation ver-
deckt ermitteln. Das Mandat des McClellan-Ausschusses
läuft kommendes Frühjahr aus, aber Bobby Kennedy stellt
nach wie vor Untersuchungsbeamte ein. Sie beenden mit
augenblicklicher Wirkung Ihre Tätigkeit fürs FBI, obwohl
Sie bis Juli 1961, wenn sich der Tag Ihres Eintritts beim
FBI zum zwanzigsten Mal jährt, Ihr volles Gehalt beziehen
werden. Sie denken sich überzeugende Gründe für Ihre vor-
zeitige Pensionierung aus und besorgen sich eine Stel ung als
Anwalt beim McClellan-Ausschuß. Mir ist bekannt, daß Sie
und Jack Kennedy mit einer Senatsangestel ten namens Sal y
Lefferts liiert gewesen sind. Miss Lefferts ist eine gesprächige
junge Dame, und daher bin ich sicher, daß der junge Jack
von Ihnen gehört hat. Der junge Jack sitzt im McClellan-
Ausschuß und hat eine Schwäche für pikanten Tratsch und
gefährliche Freunde. Ich glaube, daß Sie hervorragend zu den
Kennedys passen, Mr. Boyd. Meiner Meinung nach ist dies
für Sie sowohl eine sinnvol e Gelegenheit, Ihre Fähigkeiten in
Täuschung und Doppelspiel unter Beweis zu stel en, als auch
eine Möglichkeit, Ihren Hang zur Promiskuität auszuleben.«
Kemper fühlte sich schwerelos. Die Limousine schien
durch die Luft zu gleiten.
»Ihre Reaktion entzückt mich«, sagte Hoover. »Ruhen Sie
sich jetzt aus. In einer Stunde sind wir in Washington, wo
ich Sie bei Ihrer Wohnung absetzen werde.«
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Hoover hatte ihm neuestes Studienmaterial geschickt- in
einem Lederordner mit der Prägung »VERTRAULICH«.
Kemper mixte sich einen trockenen Martini, rückte sich
seinen Lieblingssessel zurecht und begann zu lesen.
Letztlich ging es darum: Bobby Kennedy gegen Jimmy
Hoffa.
Senator John McClellan war Leiter des im Januar 1957
einberufenen Senatsausschusses zur Untersuchung unlauterer
Umtriebe seitens der Gewerkschaften und der Arbeitgeber.
Außerdem gehörten dem Ausschuß an: die Senatoren Ives,
Kennedy, McNamara, McCarthy, Ervin, Mund, Goldwater.
Leitender Rechtsberater und Untersuchungsbeauftragter: Ro-
bert F. Kennedy.
Gegenwärtiger Personalbestand: 35 Untersuchungsbeamte,
45 Buchprüfer, 25 Stenographen und
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