Ein amerikanischer Thriller
Minute und
sechs Sekunden.
466
44
(Chicago, 10. 5. 60)
Die Arbeit trieb Littell in den Wahnsinn. Er mußte es dem
FBI recht machen und sein Tun vor dem eigenen Gewissen
verantworten.
Chick Leahy haßte Mal. Der Ausschuß gegen unamerika-
nische Umtriebe hatte Mal mit sechzehn kommunistischen
Gruppen in Verbindung gebracht. Leahys Mentor beim FBI
war der frühere Leitende Sonderagent von Chicago, Guy
Banister, gewesen.
Banister hatte Mal gehaßt. Mals Red-Squad-Akte war
achtzig Seiten dick.
Er mochte Mal. Sie tranken öfter einen Kaffee miteinander.
Mal hatte von 1946 bis 1948 in Lewisburg gesessen – Banister
behauptete, ihm aufwieglerische Aktivitäten nachweisen zu
können, und hatte dem Staatsanwalt eine Anklageerhebung
abgeschwatzt.
Leahy hatte ihn heute früh angerufen. »Ich will eine lü-
ckenlose Überwachung von Mal Chamales, Ward. Ich will,
daß du in jede Versammlung gehst, wo er auftritt, und ihm
aufrührerische Aussagen nachweist, die wir verwerten können.«
Littel hatte Chamales angerufen, um ihn zu warnen. Mal
sagte, daß er vor Mitgliedern der Socialist Labor Party einen
Vortrag halten werde.
»Tun wir doch einfach so, als ob wir einander nicht
kennen.«
467
Littell machte sich einen Whiskey-Soda. Es war 17 Uhr
40 – er konnte vor den Nachrichten noch etwas arbeiten.
Er schmückte den Bericht mit unnützen Einzelheiten aus.
Mals Tirade gegen das FBI erwähnte er nicht. Er schloß mit
unverbindlichen Bemerkungen.
»Die SLP-Rede des Betreffenden war eine harmlose Anein-
anderreihung nebulöser Klischees mit deutlicher Linkstendenz,
doch keineswegs aufwieglerischer Art. Seine Antworten auf
Fragen können weder als hetzerisch noch als in irgendeiner
Weise provokativ bezeichnet werden.«
Mal hatte Mr. Hoover als »degenerierten Faschisten in
Lederstiefeln und rosa Lederhose« bezeichnet. Eine hetzeri-
sche Aussage? – wohl kaum.
Littel schaltete den Fernseher ein. John Kennedy erschien
auf dem Bildschirm – er hatte gerade die Vorwahlen in
West Virginia gewonnen. Es klingelte an der Haustür. Littell
drückte den Knopf und legte das Geld für den Boten vom
Lebensmittelladen zurecht.
Aber rein kam Lenny Sands. Das Gesicht verschorft, vol-
ler Platzwunden und chirurgischer Nähte. Seine Nase war
geschient.
Lenny schwankte. Lenny grinste. Lenny winkte zum Fern-
seher – »Hallo Jack, du prachtvoller irischer Satansbraten!«
Littel stand auf. Lenny schwankte gegen ein Bücherregal.
»Ward, du siehst spitzenmäßig aus! Die abgetragenen Ho-
sen aus dem Sonderangebot und das billige weiße Hemd
stehen dir wirklich.«
Kennedy sprach über die Bürgerrechte. Littell schaltete
ihn mitten im Satz aus.
468
Lenny winkte ihm nach. »Ciao, Jack, der du mein Schwa-
ger wärst, wenn wir in einer besseren Welt lebten und ich
auf Mädchen stehen würde und du wirklichen Mut zeigen
und dich zu meiner lieben Freundin Laura bekennen wür-
dest, die Mr. Boyd in seiner prachtvollen Grausamkeit aus
meinem Leben verbannt hat.«
Littell trat auf ihn zu. »Lenny …«
»Daß du es nicht wagst, mir näher zu kommen oder mich
anzufassen, oder deine erbärmlichen Schuldgefühle an mir
auszulassen versuchst oder sonst irgendwie meinen prächtigen
Percodanrausch störst, sonst verrat’ ich dir nicht, was ich
schon die ganze Zeit über die Teamsterpensionskassenbücher
weiß, du traurige Ausrede von einem Polizisten.«
Littell suchte an einer Stuhllehne Halt. Seine Finger
zerrissen den Stoff. Er war nun genauso unsicher auf den
Beinen wie Lenny.
Das Büchergestel wankte. Lenny wankte – berauscht von
Medikamenten und von Faustschlägen betäubt.
»Jules Schiffrin bewahrt die Bücher irgendwo in Lake
Geneva auf. Er besitzt dort eine Vil a und bewahrt die Bücher
in Tresoren oder in Schließfächern in der Gegend auf. Ich
weiß das, weil ich mal dort aufgetreten bin und mitgekriegt
habe, wie Jules und Johnny Rosselli sich unterhielten. Frag
mich nicht nach Einzelheiten, weil ich keine weiß und weil
mein Kopf schmerzt, wenn ich mich konzentriere.«
Der Arm rutschte weg. Der Stuhl mit. Littell stolperte
gegen die Fernsehkonsole.
»Warum sagst du mir das?«
»Weil du ein winziges Stückchen besser bist als Mr. Biest
469
und Mr. Boyd und weil Mr. Boyd meiner Meinung nach
die Informationen nur will, um daraus Profit zu schlagen,
abgesehen davon, daß ich verprügelt worden bin, als ich was
für Mr. Sam getan habe –«
»Lenny –«
»– und
Weitere Kostenlose Bücher