Ein anderes Leben
storyteller ?
Konsequenz besitzt er jedoch kaum. Knapp zwei Jahre später veröffentlicht er Hess . Es ist ein monströser Roman, er scheint sich auf einem Rangierbahnhof und zahllosen Gleisen zu befinden. Fast alles, was er später schreiben sollte, ist hier angedeutet, nichts ist richtig in ihm angekommen, abgesehen von einigen verblüffend unzeitgemäßen, aber auf ihre Weise erstaunlichen Kapiteln, die von einem Jungen im Schlagschatten des Bethauses handeln. In einem gigantischen Sprachspiel erscheint sein eigener Schatten zu ersten Mal erkennbar.
Es ist ihm peinlich, als habe er aus Versehen etwas Falsches gesagt.
Immer mehr wünscht er zu verstehen, wer er ist.
Der spielerische Sprachkneter und der isländische Sagaerzähler in ihm streben in zwei verschiedene Richtungen. Zusammen mit seinen intellektuellen Freunden in der Unterwelt beschäftigt er sich in der Zwischenzeit damit, schwedische Hitlisten herunterzuleiern, alle Resultatlisten der Sportwelt genau zu verfolgen und nächtliche Analysen über den ideologischen Unterschied zwischen den rohen und wahren Rolling Stones und den allzu liebenswerten Beatles hervorzusprechen.
Hervorsprechen ist ein geknetetes Wort. Es ist eine Zeit, die situationistisches Theater, Popkunst und Installationen hervorbringt, alles sicher Echos von Experimenten, die in den zwanziger Jahren gemacht wurden; anderseits werden sie in den neunziger Jahren ganz unbekümmert kopiert, so dass sich alles ausgleicht. Eine ganze Generation ideologisiert Brechts Maxime ›Schlechte Autoren leihen, gute Autoren stehlen‹. Gemeinsam mit zweien seiner Freunde, Leif Nylén und Torsten Ekbom, setzt er sich einen Wintermonat 1964 hin und schreibt unter dem Pseudonym Peter Husberg einen Poproman. Er heißt Bröderna Casey und wird als Caldersches Sprachmobile hervorgeknetet, mit Texten, die aus einer bedrohlichen Sprachwelt abgeschrieben sind. Also, dem Idun-Wochenjournal , dem Sportblatt und den Staatl. Öffentlichen Verlautbarungen . Sie brauchen drei Wochen, um das Buch zu schreiben. Mehrere Kritiker schreiben ausführlich darüber und beweisen ihren Scharfsinn.
Gleichzeitig, wie in einem Anfall selbstkritischer Klarsicht, stellen Die Drei eine Kritikmaschine her, eine Anleitung zu zeitgemäßer kritischer Sprachbehandlung , eine Maschine, die sich, mit Ausgangspunkt in unstrukturierten Silben und Wörtern, langsam, praktisch ächzend, zu immer größerer Präzision vorwärtsarbeitet, um am Schluss Vollendung zu produzieren. Die vollendete Sprache des vollendeten Kritikers.
Das Ergebnis ist der folgende Satz: Im Schnittpunkt von Sprache und Moral wird unsere neue Freiheit sichtbar .
Der Tonfall und das Rätselhafte sind eine Anleihe bei dem vielbewunderten und stilbildenden Göteborger Kritiker Göran O. Eriksson. Der Essay, also die Kritikmaschine, wird in der literarischen Zeitschrift Ord och Bild gedruckt und erregt viel Aufsehen; in Rezensionen wird er als ein klinischer Ausdruck der Einsicht angesehen, dass beim Kneten der Sprache eine Sprachoberfläche entsteht, auf der nur im Schnittpunkt zwischen der Sprache und der Moral unsere neue Freiheit sichtbar wird. Die drei Maschinenkonstrukteure standen im Inneren der Sprache, mit abgewandten Gesichtern, um sich die schlimmste Einfalt vom Leibe zu halten.
Ungefähr so, lautet ein breiter Konsens.
Praktische Anwendung erfährt diese Kritikmaschine jedoch nur einmal, mehrere Jahre später, als er in einem Telefongespräch mit seinem Freund Ingmar Bergman auf Fårö dessen gewohnheitsmäßige Angstrufe vernimmt, wie entsetzlich schwer es sei, mit Journalisten zu sprechen, und wie er sie hasse, und dass er nicht wisse, was er auf Interviewfragen antworten soll. Erst später, als es ihm auf Fårö langweilig geworden war, begann Bergman, Interviews zu lieben.
Enquist, der bei ein paar Theaterstücken mit Bergman zusammengearbeitet und seinen schwarzen Humor kennengelernt hat, erinnert sich da an die Kritikmaschine, die Nylén, Ekbom und er selbst Mitte der sechziger Jahre geschaffen haben, und was diese Maschine ausgestoßen hat, als sie am Ende zur Vollendung gebracht wurde. Er erzählt Bergman jetzt, dass sein Problem mit Journalisten einfach zu lösen sei. Was sie auch fragen, sagt er, du machst nur eine kürzere Pause, als dächtest du einen Augenblick nach, und dann sagst du ›Jaa, im Schnittpunkt von Sprache und Moral wird unsere neue Freiheit sichtbar‹ .
Bergman, verdutzt und amüsiert zugleich, fragt, ob er damit wirklich
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