Ein anderes Leben
weiß aber, dass das Eis dünn ist, alles ist so schnell gegangen. Er hat das Gefühl, sich an einem hell erleuchteten Platz zu befinden, im Zentrum, es sind erst acht Jahre vergangen, seit er den Vertrag für einen Debütroman mit dem Titel Kristallögat in der Hand gehalten hat. Waren es nicht eintausend (1000) Kronen? Die fünf Ministerpräsidenten betrachten ihn mit Verwunderung. Seit jenem Tag in Oak Ridge sind nur drei Jahre vergangen. Der Kreis geschlossen? Falls ja, wie sieht ein Kreis aus?
Was sollen sie zu ihm sagen.
Was soll er zu ihnen sagen.
In der Nacht immer intensivere Gespräche. Jens Otto Krag vertraut ihm an, dass er lieber Bourbon trinkt als Whisky. Er pflichtet ihm bei, dem Anschein nach einsichtsvoll. Auf dem Niveau also. Er weiß nicht, wohin der Weg von hier aus führt.
Kapitel 8
BERLIN NACH DEM REGEN
Er reiste nach Berlin. Es sollte ein Jahr werden. Es war die erste Reise in der Fußspur des Fuchsfarmers.
Das Deutsche war ganz und gar keine Selbstverständlichkeit. Noch waren Berlin und Deutschland, in der mentalen Nachfolge des Krieges, etwas für Schweden nahezu nicht Existierendes. Fast wie die baltischen Staaten, dachte er manchmal.
Schweden schien von nicht existierenden Kulturen umgeben zu sein.
Er tat den Schritt ohne Zögern.
Zunächst jedoch kurze Testbesuche gegen Ende der sechziger Jahre beim Literarischen Colloquium in Dahlem, Westberlin, der schönen Villa am Wannsee, mit dem Blick auf das ebenso schöne Gebäude auf der anderen Seite des Wassers, in dem die Wannsee-Konferenz stattgefunden hatte, der Ausgangspunkt der Judenvernichtung. Walter Höllerer lotst ihn schon jetzt in den literarischen Berliner Dschungel hinein. Das LCB gibt eine kleine Schriftenserie heraus: Auf den Buchumschlägen werden alle Gäste des Berliner Künstlerprogramms abgebildet, auf einem Holzstuhl sitzend, fotografiert von Höllerers Frau Renate von Mangoldt; die Körpersprache des auf dem einfachen Holzstuhl sitzenden Autors soll eine innere Wahrheit zum Ausdruck bringen.
Enquist sitzt auf diesem seelendokumentarischen Buchumschlag steif und eiskalt-ruhig da, trägt eine schwarze, fast faschistoide Brille und starrt vor sich hin. Die Körperhaltung ist entgegen seiner Absicht kernig schwedisch, fast gut trainiert, aber darüber ein Gesicht mit Augen, die – so hofft er – uralt wirken und sagen ich habe Kontinente durchquert . Das Gesicht ist jedoch eingefasst von zeitgemäßen ziemlich langen Koteletten.
Berlin als Bildungsreise steht noch bevor. Vielleicht müssen die Koteletten verschwinden.
Mit der Zeit lernt er einige deutsche Autoren kennen.
Bei der Tagung der Gruppe 47 in Sigtuna 1964, der er als eingeladener und verängstigter Schwede beiwohnt, aber ohne irgendetwas zu sagen zu wagen, dominierten deutsche Monumente: Enzensberger und Grass und Uwe Johnson und Helmut Heißenbüttel. Beklommen hatte er dort diese lebenden Legenden betrachtet. Die sich in ihrer fließenden, unerhört distinkten deutschen Sprache austauschten , die Verben am hoffnungslos weit entfernten Ende äußerst komplexer Sätze plaziert. Gespräche, die vielleicht fast ganz sicher existentielle und politische Fragen behandelten, die weit über das hinausgingen, was er selbst hätte kommentieren können. Auf jeden Fall nicht in seinem noch holperigen Schuldeutsch.
Aber in gewisser Weise wird das Deutsche dennoch für ihn zu einer lebendigen Möglichkeit.
War es nicht so, dass das Tor zu Europa sich genau im Süden befand? Und sollte er nicht durch eben dieses Tor hinausgehen?
Durch dieses südliche Tor hatten sich schwedische Schriftsteller früher, durch die Geschichte und durch die Jahrhunderte, hinausgedrängt . Greifswald, Berlin, Prag, München. Das große Zentraleuropäische, besonders das Deutsche. Das Tor zu diesem großen Deutschen lag im Süden. Diese deutsche Kultur, die für einen kurzen Augenblick, waren es nicht nur dreizehn Jahre? , zusammengebrochen war, die aber jetzt dennoch, unausweichlich! wieder auferstehen und ihren natürlichen Platz in der Mitte jenes Europas einnehmen würde, von dem er wusste, dass es bald seins sein würde.
Ungefähr so.
Die Tür nach Berlin war auch einige Male einen Spaltbreit geöffnet worden.
Im Spätherbst 1969 hatte er auf einer eigentümlichen Reise von Minsk als letzte Station Westberlin passiert; Die Ausgelieferten sollte verfilmt werden, zur Hälfte dokumentarisch. Man hatte in Lettland Interviews gemacht, eine Art Wiederholung derer, die er selbst für
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