Ein Band aus Wasser
Ich weiß es nicht. Es ist einfach alles … so viel leichter. Es erscheint mir sinnvoller, kommt mir zugeflogen. Vorher musste ich der Magie hinterherjagen, sie der Welt abringen, sie mir gefügig machen. Jetzt ist es so, als sei sie einfach da, überall, jederzeit zugänglich. Ich kann sie in der Luft erhaschen, wie eine Drachenschnur.« Mit der Hand griff sie in die Luft. » Es ist leicht. Ganz einfach.«
» Wahnsinn.« Manon klang verbittert – denn offensichtlich hatte der Ritus ihren Wunsch nicht erfüllt. Ihre dunklen Augen waren vom Weinen verquollen, ihr kleines Gesicht verkniffen und blass. Noch immer hatte Axelle keinen Schimmer, was Manon an Sophie fand. Sophie schien so spießig, langweilig, zimperlich und schrecklich tugendhaft. Nicht, dass Manon sehr viel wagemutiger gewesen wäre. Aber sie hätte es besser haben können. Wäre Axelle an Manons Stelle als hübsches Kind unsterblich gemacht worden, sie hätte einen Weg gefunden, einen Vorteil daraus zu ziehen, anstatt ein Vierteljahrtausend darüber zu heulen.
» Die Sache ist die«, sagte Axelle, während sie zum Kühlschrank ging und eine Flasche Wodka aus dem Gefrierfach holte. » Melita hat sich schon damals so gefühlt. Und wer weiß, welche Kräfte sie jetzt besitzt. Aber damals hatte sie all das hier und möglicherweise noch mehr und trotzdem hat sie es für sich behalten.«
» Was meinst du? Sie hat uns doch die Quelle gezeigt und den Ritus mit uns durchgeführt«, sagte Manon.
Axelle schenkte sich drei Finger breit Wodka in ein Glas, von dem sie hoffte, dass es sauber war. Manon war keine kleine Hausfrau wie Thais und die Wohnung dementsprechend verwüstet. » Ja, aber sie hat ihre Macht nicht wirklich mit uns geteilt. Okay, sie hat den Ritus abgehalten und uns alle unsterblich werden lassen, juhu. Aber nur, weil sie das für sich selbst wollte. Wie lange war sie davor schon so stark gewesen? Zehn Jahre? Eine lange Zeit. Und da hat sie nichts mit irgendjemandem geteilt, hat niemandem gesagt, wie man so werden kann.«
Manon runzelte die Stirn, griff nach ihrem Glas und ging hinüber zur Sitzgruppe. Sie sank auf einen Ledersessel, lehnte sich mit dem Rücken gegen die eine Seitenlehne und ließ die Beine über die andere baumeln. » Na, warum sollte sie auch? Menschen, die Macht haben, wollen sie immer ganz für sich alleine.«
» Du verstehst nicht.« Axelle pflackte sich aufs Sofa. Sie klopfte sich ein Kissen zurecht, sodass sie mit dem Kopf hoch genug lag, um bequem ihren Drink nehmen zu können. » Ich war Melitas beste Freundin, seit wir sechs Jahre alt waren. Ich war noch mehr wie eine Schwester für sie als Cerise. Die ist die ganze Zeit in ihr kleines Märchenland abgetaucht, wo alles entrückt, golden und nicht von dieser Welt war. Wobei wir natürlich alle wissen, dass sie in Wirklichkeit das halbe Dorf gevögelt hat.«
» Doch nur Richard und Marcel«, erwiderte Manon.
Axelle machte eine wegwerfende Handbewegung. » Mhm. Und wen hast du so gevögelt? Oder ich? Niemanden. Weil nette Mädchen das damals einfach nicht taten. Nicht mal unartige nette Mädchen. Wie auch immer, ich war praktisch wie eine Schwester für Melita und trotzdem hat sie ihre Macht nicht mit mir geteilt. Sie hätte mich stärker machen können, aber das hat sie nicht getan. Sie hat mich mehr als alles andere auf der Welt geliebt, doch sie hat mich zurückgelassen, im Staub, so wie sie euch alle auch zurückgelassen hat.«
» Hm«, sagte Manon nachdenklich.
Axelle wollte einlenken. Sie hasste den Gedanken, dass Manon wusste, wie sehr sie etwas, das Melita vor über zweihundert Jahren getan hatte, heute noch verletzte. Doch sie konnte nichts dagegen tun – die letzten zwei Tage waren allzu erhellend gewesen.
» Ich meine, in all den Jahren war ich stolz auf sie gewesen. Gut, vielleicht war ich auch ein bisschen neidisch, aber meistens doch stolz. Sie hatte mir gesagt, wie leid es ihr täte, dass sie nicht einfach ihren Zauberstab schwenken und mir sagen könne, was ich tun müsse. Dass sie keine Ahnung habe, was mit ihr passiert sei – dass sie vielleicht einfach so geboren worden sei. Ja klar ! «
Jetzt, da Axelle losgelegt hatte, war sie nicht mehr zu bremsen. » Aber sie ist eben nicht so geboren worden – sie hat herausgefunden, wie das geht. Oder vielleicht hat es ihr jemand gezeigt, jemand, den sonst niemand von uns kannte. Wenn sie es mir beigebracht hätte, hätten wir eine unglaubliche Magie zuwege bringen können. Aber sie hat alles für sich
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