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Ein Baum wächst übers Dach

Ein Baum wächst übers Dach

Titel: Ein Baum wächst übers Dach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nadolny
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aufmerksam, als sollte er aus dem Gedächtnis später mein Porträt zeichnen. Dann erhob er sich, verabschiedete sich wohlerzogen und ging.
    Sein Privatleben war mir unbekannt. Sein dienstliches auch. Ich wußte nur, daß er an einen Schreibtisch in ein Amt eingezogen worden war. Er sprach niemals davon. Um so mehr sprach er von der deutschen und ausländischen Literatur. Er schickte mir weder Inselbücher noch Blumen. Er machte mir auch nicht den Hof wie jene Leute, die mich nach Dienstschluß abholten und in Lokale führten, wohl aber äußerte er gelegentlich die Meinung, daß wir viele gemeinsame Interessen hätten. Mir war das gar nicht so aufgefallen. Ich freute mich zwar immer, wenn er kam, aber ich behandelte ihn wie einen großen, sanften Bernhardinerhund, dem man die Hand in die Schnauze stecken kann, ohne daß er beißt. Darin hatte ich unrecht: er biß. Ja, er hatte sogar schon lange angebissen, ehe ich das geringste merkte.
    Endlich fand ich ein Zimmer. Es gehörte einer sehr frommen Witwe in einer Parterrewohnung in der Nähe des Hohenzollernplatzes. Sie ließ mich gleich wissen, daß sie bei Alarm niemals in den Keller ginge und das auch von ihren Untermietern nicht verlange. Erstens stünden wir alle in Gottes Hand und zweitens brannten sicherlich die oberen Stockwerke zuerst ab, so daß wir immer noch in Ruhe aus dem Fenster steigen konnten. Es schien ein wundervolles Quartier zu sein, dennoch hieß es wieder, sich an neue Läden, neue Straßen und neue Autobuslinien zu gewöhnen. Diesmal ging ich recht zuversichtlich an den neuen Lebensabschnitt heran.
    Wie neu er werden sollte, ahnte ich nicht. Mir wurde der Ernst der Lage erst klar, als einige Tage vor meinem Umzug der Märchenprinz in die Küche des kleinen Häuschens trat. Ich stand am Herd und kochte die vielen Zwetschgen ein, die nachts von den Bäumen gefallen waren und die man unmöglich bis zur Heimkehr der Freunde verfaulen lassen konnte. Ich rührte in dem Mus, und er blieb an der Tür stehen, in Hut und Mantel, weil er eilig zu einer Verabredung mußte. Ohne die Klinke loszulassen, fragte er, ob ich ihn für zu alt hielte.
    «Zu alt wofür?» fragte ich zerstreut und verbrannte mich scheußlich an dem spritzenden Zwetschgenmus, das noch nicht die nötige Dicke hatte.
    «Zu alt für Sie», sagte er.
    «Wieso, wegen der zwölf Jahre Unterschied?» fragte ich leichthin, und mein Schicksal war besiegelt. Es war das letzte Mal in diesem Leben, daß er mich Sie genannt hatte. Er ließ die Klinke los, zog mich samt Küchenschürze in die Arme und fragte, ob ich mich entschließen könne, für immer bei ihm zu bleiben. Er roch nach Holzrauch und Geranienblüten, und ich hatte gerade noch Zeit, den Zwetschgenlöffel aus der Hand zu legen, ehe ich ihn wiederküßte.
    Ich habe eben kein Talent, große Augenblicke wahrzunehmen. Schon als Backfisch fiel mir das einmal auf, als ich mit einem jungen Mann in einer Laube saß und nichts sehnlicher hoffte, als daß er wegginge. In die Laube war ich nämlich nur getreten, um mit einer Sicherheitsnadel etwas festzustecken, das gerissen war. Ich konnte ihm das nicht so rundheraus sagen und wurde immer bedrückter und schweigsamer. Der junge Mann hielt daher seine Chance für gekommen und erklärte sich, worauf ich nichts zu erwidern wußte als «O Gott!»
    War nun auch dieser Höhepunkt meines Lebens anders als geplant abgelaufen, so hätte wenigstens eine Zeit folgen müssen, während ich mit selig-blödem Gesicht mit dem Märchenprinzen Hand in Hand im Café Kranzler saß. Statt dessen entspann sich ein aufreibender Kampf zwischen ihm und mir. Nach der ersten Betäubung war ich zu mir gekommen und gewissenhaft genug, ihn eindringlich vor mir zu warnen. Ich erzählte ihm, wie leicht ich mich erkälte, daß ich im Kino weine und daß ich keine Knopflöcher in Leintücher machen kann. Aufgeregt und wortreich suchte ich ihn davon zu überzeugen, daß ich nicht zu ihm paßte, daß er eine sportliche Lebensgefährtin brauchte, zäh und entschlossen, mutig und mit braunen Augen. Anstatt zuzuhören, küßte er mich.
    Ganz nebenbei hatte ich auch Schwierigkeiten mit seinem preußisch-prinzlichen Vornamen. Er enthielt eine solche Häufung von Räusperlauten, daß ich es im Hinblick auf meine Neigung zu Rachenkatarrhen ablehnte, ihn damit anzureden. Da er in meiner Wertschätzung von Tag zu Tag, ja von Stunde zu Stunde stieg, schien mir ein Name aus dem Personal der himmlischen Heerscharen für ihn nur angemessen.

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