Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs
festgefahren sind, sich von jüngeren nichts sagen lassen, allgemein langsamer sind, sich öfter beschweren, verletzen und krankmelden und darüber hinaus lästige Bündel mit sich herumschleppen wie ein »normales« Familienleben und Verantwortung außerhalb der Küche. Ein Küchenteam funktioniert am besten und reibungslosesten, wenn es aufeinander eingeschworen ist, wenn es wie eine Rockband auf Tour Hand in Hand arbeitet. Deshalb wird man Sie, wenn Sie mit Ihrer Messerrolltasche und Ihrem Lebenslauf dort aufkreuzen, höchstwahrscheinlich als ungeeignet abtun, als gefährliches Risiko, dem irgendein Depp aus Vertrauen, Hoffnung oder Mitleid eine Chance gegeben hat. Das ist hart. Aber so wird man denken.
Bin ich für einen Koch zu dick? Noch so eine Frage, die Sie sich besser stellen sollten.
Vor der Aufnahme in die Kochschule verschweigt man Ihnen auch das, und zwar aus gutem Grund. Wenn Sie bei einem Meter sechzig Körpergröße hundert Kilo wiegen, nimmt man Sie gerne auf, lässt aber unerwähnt, dass es ein unglaublicher Nachteil für Sie sein wird, sobald Sie sich um einen Küchenjob bewerben. Wie jeder Küchenchef am eigenen Leib erfährt (und auch in den Gelenken spürt), besteht die Arbeit eines Kochs in den ersten paar Jahren, wenn nicht das ganze Leben lang, darin, dass er den lieben langen Abend Treppen auf und ab rennt, volle Warmhaltewannen durch die Gegend schleppt und vor den Kühlschubladen Hunderte von Kniebeugen macht.
Und das bei unerträglicher Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit, die auch einen jungen und völlig fitten Koch ins Wanken bringen kann. Dazu kommen rein praktische Überlegungen: Der Arbeitsbereich in der Küche, insbesondere am Posten, ist knapp bemessen. Grob gefragt: Können sich die anderen Köche um Ihren fetten Arsch herumbewegen? Ich werfe das nur so in den Raum. Aber jeder Küchenchef, der über Ihre Einstellung entscheidet, denkt so. Damit müssen Sie sich abfinden.
Wenn Sie Sorge haben, Sie könnten für eine heiße Küche zu korpulent sein, dann sind Sie es wahrscheinlich auch. Man kann in der Küche dick werden, im Laufe einer langen und glorreichen Karriere. Aber schon dick anfangen? Das ist eine echte Herausforderung.
Falls Sie sich mit dem Spruch »Traue nie einem dünnen Küchenchef« trösten wollen: Vergessen Sie’s. Einen dümmeren Satz gibt es gar nicht. Schauen Sie sich das Team eines beliebigen Spitzenrestaurants an, und Sie haben lauter
windhunddünne übernächtigte junge Burschen mit dunklen Augenringen vor sich: Alle sehen sie aus, als seien sie gerade einem japanischen Strafgefangenenlager entflohen, und dabei sollen sie Höchstleistung bringen wie die Mitglieder eines militärischen Sonderkommandos.
Sie sind körperlich nicht ganz fit? Wenn Ihr Berufsziel nicht gerade Pâtissier lautet, wird das ziemlich hart für Sie. Rückenprobleme? Plattfüße? Kurzatmigkeit? Ekzeme? Eine alte Knieverletzung aus Schultagen? In der Küche wird das mit Sicherheit nicht besser.
Mann oder Frau, schwul oder hetero, einheimisch oder illegal - wen kümmert das? Entweder Sie können ein Omelett machen oder nicht. Entweder Sie können in drei Stunden fünfhundert Omeletts machen, wie in der Stellenbeschreibung gefordert und von Ihnen behauptet, oder Sie können es eben nicht. In der Küche gibt es keine Lügen. Die Restaurantküche ist womöglich die letzte glorreiche Meritokratie, in der jeder willkommen ist, der etwas kann und etwas wagt.
Aber wenn Sie zu alt sind oder schlecht in Form, wenn Sie sich ohnehin nie sicher waren, ob Sie den richtigen Weg eingeschlagen haben, dann werden Sie ganz schnell wieder rausfliegen. Wie die Antikörper eines großen Organismus, die eine Bakterieninvasion bekämpfen, wird das Küchenleben Sie vertreiben oder vernichten. So ist das. Und so wird es immer sein.
Ideal für eine angehende Küchenkarriere wäre es, direkt ins tiefe Ende des Pools zu springen. Lange, bevor Sie ein Studiendarlehen aufnehmen und Ihre Ausbildung anfangen, müssen Sie herausfinden, wer Sie eigentlich sind.
Sind Sie der Typ Mensch, der glühende Hitze mag, große Hektik, nie endenden Stress und melodramatische Szenen, schlechte Bezahlung, wahrscheinlich keine Versorgungsleistungen, Ungerechtigkeit und Rückschläge, Schnitte, Verbrennungen, Schäden an Körper und Seele, den Verzicht auf alles, was normalen Arbeitsstunden und einem Privatleben auch nur ähnlich sieht?
Oder sind Sie wie alle anderen? Ein normaler Mensch?
Machen Sie sich das lieber früher
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