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Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs

Titel: Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Bourdain
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ihren Wert, Reiche wurden arm, Erwerbstätige arbeitslos, Erfolgreiche saßen plötzlich auf der Anklagebank. Tausende lärmender, testosterongesteuerter Kerle, die im Geld schwammen und »Wer hat den größeren?« spielten - die stillen Teilhaber, das geheime Rückgrat der Spitzengastronomie -, entschwanden unvermittelt in einer schmierigen Wolke, mit wenig Aussicht auf Rückkehr. Die handfeste Folge war, dass praktisch über Nacht der Umsatz um die dreißig Prozent einbrach. Oder noch mehr. Die meisten Küchenchefs, mit denen ich mich unterhielt, räumten nur einen
Rückgang zwischen fünfzehn und achtzehn Prozent ein. Ein paar ehrlichere sprachen von mehr als dreißig - und bemühten sich krampfhaft, sich ihre Besorgnis nicht anmerken zu lassen. Das ließe sich beheben, kein Grund zur Panik, behaupteten sie. In ihren Augen hätte es Unglück gebracht, zuzugeben, wie verheerend die Lage tatsächlich war und dass sie vor Angst wie versteinert waren. In der Gastronomie gilt es als schlechtes Omen, öffentlich die Wahrheit einzugestehen. Man meint, das mache alles nur noch schlimmer, vergrößere die Furcht, ängstige Gläubiger und, was am schlimmsten wäre, verschrecke mögliche Gäste.
    Aber es sah noch viel schlimmer aus.
    Beunruhigend war nicht nur, dass die Umsätze in den New Yorker Restaurants des mittleren und höheren Segments zurückgingen, sondern welche Umsätze das waren. Es hört sich gut an, wenn man an einem Abend zwanzigtausend Dollar Einnahmen hat, aber problematisch wird es, wenn das Geld fürs Essen eingenommen wird. Was einem kaum jemand sagt: Viele Spitzenrestaurants mit vollem Service (also qualifizierter Bedienung, frischem Blumenschmuck, einem »Tisch des Küchenchefs« und einem Speisesaal für private Empfänge) stützten ihr Geschäftsmodell vor dem Börsencrash in erster Linie auf den Gast des Typus »Wal«, der regelmäßig einkehrt und mehrere Hundert Dollar fürs Essen und zehntausend oder mehr für Wein ausgibt. Der Wein bringt oft den höchsten Umsatz, erfordert aber relativ wenig Arbeit und Ausstattung. Die Marge beim Essen ist dagegen bestenfalls dünn wie eine Rasierklinge, auch wenn die Preise auf der Speisekarte unverschämt hoch anmuten. Die besten Zutaten sind SEHR teuer. Auch Ausbildungsstand
und Anzahl der Angestellten, die diese Zutaten verarbeiten, kosten bares Geld. Und bis die Zutaten geputzt, gekocht, verarbeitet, garniert und mit dem erwarteten Service auf den Tisch gebracht sind, bleibt kaum noch Gewinn übrig.
    Die vielen Gäste in den besseren der guten New Yorker Restaurants wurden gewissermaßen von den wenigen Gästen subventioniert, die hohe Dollarbeträge für Wein ausgaben.
    Vor ein paar Jahren machte man mich im Veritas an der Bar auf einen Gast aufmerksam. Er hatte in einem Monat nicht weniger als 65 000 Dollar durchgebracht, indem er befreundeten Weinkennern, aber auch völlig fremden Gästen Weine spendiert hatte. Dank solcher Gäste kann ein Küchenchef etwas großzügiger mit den Trüffeln umgehen.
    Ein kaum beachteter Nebeneffekt der Wall Street war es, dass es, jenseits des Gesichtsfelds des normalen Gasts, einen eigenen Kreis von Geschäftskunden gab, organisierte Gruppen wohlhabender Gäste, die verlässlich und in gigantischem Umfang Spesen machten. Das Arrangement war perfekt: Menschen, die nicht dabei beobachtet werden wollten, gaben Abertausende von Dollar aus. Deshalb lief die Sache überwiegend unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab, die den Anblick von zügellos feiernden Bankern und Aktienhändlern nicht besonders attraktiv gefunden hätte. Besser noch: Diese Meister des Universums hatten einen festgelegten und recht eingeschränkten Speiseplan, den das Küchenpersonal relativ schnell und problemlos bewältigen konnte. Die halbe Arbeit bei minimalem Einsatz und höchsten Preisen - das war ein erstklassiges Geschäftsmodell für die Spitzenrestaurants,
die es um Weihnachten auf Millionenumsätze brachten. Ein Großteil entfiel praktischerweise auf Wein und Spirituosen. Das Geld war fast geschenkt. Wenn es den Restaurants auch nicht anzusehen war, hatten sich viele Gastronomen - mehr, als es zugegeben hätten - von Anfang an auf dieses zweigleisige Geschäft eingerichtet. Ohne diese Einkünfte, nur mit dem zuvor üblichen Betrieb, konnten sie schlichtweg nicht mehr überleben.
    Plötzlich stand über Nacht die ganze Wirtschaft auf der Kippe. Aus der einstigen Springquelle tröpfelte es nur noch. Wenn Ihre Gäste in der Zeitung dafür an den

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