Ein bißchen Single - und andere bühnenreife Vorstellungen
dass die Fahrt nach
Marine Park
mein letztes Geld gekostet hatte. „Sind ja nur drei Blöcke.“
Drei Blöcke konnten allerdings ganz schön weit sein, wie mir auffiel, als ich um halb drei Uhr morgens an einem Freitag durch Brooklyn marschierte. Außer mir war niemand auf der Straße.
Doch schließlich war dies meine alte Nachbarschaft, und als ich auf dem Weg zu meiner Mutter an den bekannten Backsteingebäuden vorbeilief, fühlte ich mich schon etwas wohler.
„Angela!“ rief meine Mutter, als sie mich vor ihrer Tür stehen sah.
„Hallo Ma“, sagte ich, als ob es völlig normal wäre, mitten in der Nacht vorbeizuschauen.
„Was ist passiert?“ Sie nahm mein Gesicht in die Hände und sah mir in die Augen. „Mein Gott, bist du in Ordnung?“
„Mir geht’s gut!“ Ich befreite mich aus ihrer Umklammerung, betrat den Flur und starrte mich in dem großen Spiegel an. Meine Augen waren blutunterlaufen, meine Wangen blass und meine Lippen hatten jegliche Farbe verloren, selbst die, die ich Stunden vorher aufgemalt hatte. Kein Wunder, dass Ma sich Sorgen machte. Ich sah schrecklich aus.
Sie umarmte mich so heftig, als ob ich gerade noch lebend aus einem Autowrack geklettert wäre. Und um ehrlich zu sein, so fühlte ich mich auch. Mein Körper schmerzte vor Erschöpfung und zu viel Salsatanzen, und der Alkohol, den ich getrunken hatte, begann bereits gegen meine Schläfen zu pochen.
„Hat es irgendwo gebrannt? Du riechst nach Feuer!“ Sie ging einen Schritt zurück und suchte nach Verbrennungen dritten Grades.
„Nein“, entgegnete ich ein wenig schuldbewusst, denn was sie roch, waren die Zigaretten.
Und natürlich war das ihre nächste Schlussfolgerung. „O Angie, bitte sag nicht, dass du wieder rauchst. Denk an deinen Vater, möge er in Frieden ruhen. Was würde er wohl sagen?“
„Ma, er kann nichts mehr sagen! Er ist tot um Himmels willen!“ rief ich und hatte sofort ein schlechtes Gewissen, als ich die Trauer in ihren Augen sah.
„Sag, er möge in Frieden ruhen.“ Meine Mutter war davon überzeugt, dass man den Toten für alle Ewigkeit Schaden zufügte, wenn man ihnen nicht jedes Mal, wenn man ihren Namen nannte, Frieden wünschte.
„Möge er in Frieden ruhen“, murmelte ich, und hasste mich dafür, dass ich selbst irgendwie daran glaubte.
„Und jetzt erzähl mir, was zum Teufel du hier um …“, sie schaute auf die Uhr, die im Wohnzimmer hing, „… fast drei Uhr morgens zu suchen hast!“
„Ich war mit Grace und Michelle aus …“
„Michelle?“ unterbrach sie mich. „Und wo war Frankie?“
„Zu Hause. Das war ein reiner Frauenabend. Wir sind nur … tanzen gewesen.“
„Oh“, sagte sie. „Ihr seid in Brooklyn ausgegangen?“
„Nein, nein.“ Ich war diese Ausfragerei leid. „In der Stadt. Downtown. Michelle hat ein bisschen zu viel getrunken, deswegen habe ich dafür gesorgt, dass sie gut nach Hause kommt.“
„Wirklich?“ fragte sie überrascht. „Das klingt so gar nicht nach ihr. Ich hoffe, du hast sie nicht negativ beeinflusst. Ihre Mutter hat sich immer Sorgen gemacht, wenn sie mit dir und Grace zusammen war. Ihr beide wart in eurer Jugend ganz schön wild!“
„Grace und ich?“ Am liebsten hätte ich ihr gesagt, unter wessen Einfluss sich Michelle in dieser Nacht befunden hatte.
Doch glücklicherweise bewahrte mich meine Mutter davor, Michelle für immer zu diskreditieren. „Möchtest du etwas essen? Komm in die Küche. Ich mache dir ein paar
Pastina
.“
Als ich dann mit einer Schüssel dampfender
Pastina
am Küchentisch saß, war ich auf einmal sehr froh, in Brooklyn zu sein. Gott, ich hatte schon so lange keine
Pastina
mehr gegessen. Ich löffelte die in Butter getränkten Nudeln in mich hinein und war unendlich dankbar für die Kochkünste meiner Mutter. Es war ein einfaches Gericht – winzige Nudeln, Butter, vielleicht etwas Milch. Aber es schmeckte himmlisch.
Allerdings fiel es mir um einiges schwerer, das Essen noch zu genießen, als meine Mutter den Topf abgespült hatte. Denn dann setzte sie sich mir gegenüber an den Tisch und starrte mich lange an.
„Wo ist Kirk?“ fragte sie.
„Zu Hause“, antwortete ich. „Er muss noch eine Arbeit abschließen, bevor wir … bevor wir wegfahren.“ Ich wollte den Namen Newton und alles, was er bedeutete, nicht aussprechen. Meine Mutter hatte während vergangener Telefongespräche bereits deutlich gemacht, was sie von diesem Ausflug zu Kirks Eltern hielt und natürlich auch von dem Flug, vor dem
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