Ein Braeutigam und zwei Braeute
andere Mizwes befolgen. Was Sie beschrieben haben, widerfährt nicht aufrechten Juden. Es passiert nur haltlosen Menschen.«
»Ja, Rabbi, meine Mutter – sie ruhe in Frieden – hat keinen anderen auch nur angesehen. Für sie gab es nur den einen Gott und den einen Mann.«
»Bitte, da sehen Sie es selbst.«
»Aber trotzdem, ich kann nicht wie mein Vater sein.«
»Warum nicht? Die Tora ist nicht im Himmel. Jeder kann ein guter Jude sein.«
»Ja, aber …«
Schweigen trat ein. Vater hielt sich mit einer Hand die Augen zu und blieb eine Weile so sitzen. Sein sanfter Gesichtsausdruck wurde streng. Auf seiner hohen Stirn zeigte sich eine Falte. Abgesehen davon, daß Vater Zuchtlosigkeit und Sünde haßte, war er offensichtlich außerstande zu begreifen, wie ein Mann seiner Frau, der Mutter seiner Kinder, gestatten konnte, mit einem anderen Mann zu tändeln. Vater nahm das Gespräch wieder auf mit den Worten, dies widerspreche der natürlichen Ordnung. Nur Sünder stellten die natürliche Ordnung auf den Kopf. Beim Zuhören wurde der Mann zusehends gebeugter. Er sah aus, als bräche er gleich entzwei.
»Was soll ich tun, Rabbi?«
»Bringen Sie sie vor ein rabbinisches Gericht.«
»Sie würde nicht kommen.«
»Lassen Sie einen Scheidungsbrief ausfertigen und händigen ihn ihr aus. Haben Sie amtlich geheiratet?«
»Amtlich? Nein.«
»Lassen Sie sich von ihr scheiden, und werfen Sie nie wieder einen Blick auf ihr beflecktes Antlitz!«
Der Totengräber verzog das Gesicht und hustete. Er warf mir, dem kleinen Jungen, einen fragenden Blick zu. Vater war so entschieden, wie dieser Mann voller Zweifel war. Der Mann schien bedrückt und gleichzeitig von einer mir unbegreiflichen überbordenden Sanftmut. Er hatte wohl nicht alles offenbart. Es gab noch ungesagte Geheimnisse, und darum konnte man aus seiner Geschichte nicht klug werden. Er machte einen neuen Anlauf, sprach teils zu meinem Vater, teils zu sich selbst.
»So etwas läßt sich nicht schnell bewerkstelligen. Schließlich leben wir seit sechzehn Jahren zusammen. Wir haben zwei nette Kinder. Was können sie dafür, die armen Dinger? Sie hat sich verliebt, einfach verliebt. Er ist ein Prahlhans, wie es ihn in Warschau wohl nicht noch einmal gibt. Ein hübscher junger Mann mit einer schmeichelnden Zunge. Die Leute sagen von den Frauen: lange Haare, kurzer Verstand. Sie will nicht darüber nachdenken. Einmal hat sie ihn weggejagt, aber hinterher hat sie gewollt, daß ich zu ihm gehe und um Entschuldigung bitte.«
»Und Sie haben ihn um Entschuldigung gebeten?!«
»Bei uns zu Hause ist es trübsinnig, und wenn er kommt, bringt er ein bißchen Freude mit. Er bringt eine Flasche Schnaps mit, dies und das und jenes. Er weiß alle möglichen Geschichten. Kann sein, keine davon ist wahr, aber unterdessen lachen wir und haben unseren Spaß. Er kann auch gut singen, und meine Frau singt auch gern.«
»Genug! Ich will nichts mehr hören! An der ganzen Sache sind Sie selber schuld!« Vater hob die Stimme. »Wer mit dem Feuer spielt, verbrennt sich. Sie sind ein widerspenstiger Dickschädel! Sie bereuen nicht einmal und wollen auch Ihr Verhalten nicht ändern. Warum sind Sie dann überhaupt zu mir gekommen? Ich kann Ihnen nur sagen, was das Gesetz festlegt.«
»Rabbi, ich bin unglücklich.«
»Im Jenseits werden Sie, Gott behüte, noch viel unglücklicher sein. Ein Mensch lebt nicht ewig. Sie ist eine Ehebrecherin – und Sie sind der Grund dafür! Das ist eine der drei Sünden, von denen gesagt ist: ›Es ist besser, getötet zu werden, als diese Sünden zu begehen: verbotenes Beilager, Götzendienst und Mord.‹ Für jede andere Sünde ist es untersagt, sein Leben aufzugeben, weil die Tora das Menschenleben als kostbar ansieht. Daraus, daß die Tora gebietet, für ein solches Verhalten den eigenen Tod hinzunehmen, können Sie leicht ersehen, wie abscheulich diese Sünde ist.«
»Ja, Rabbi, ich weiß.«
»Wenn Sie das wissen, wieso schweigen Sie dann?«
»Es ist einfach so, daß ich über diese Dinge nachdenke. Über alles. Die ganze Zeit habe ich gedacht, vielleicht ändert sie ihre Meinung. Ich habe mit ihr darüber gesprochen. Was werden die Leute sagen? Die Leute lachen hinter unserem Rücken. Die Kinder werden älter, und sie verstehen alles. Meine jüngere Tochter ist klug, sehr erwachsen für ihr Alter. Jedes ihrer Worte ist ein Vergnügen. Sie liebt mich. Ihn kann sie
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