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Ein Braeutigam und zwei Braeute

Ein Braeutigam und zwei Braeute

Titel: Ein Braeutigam und zwei Braeute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isaac Bashevis Singer
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nicht ausstehen. Er bringt ihr Konfekt mit, aber sie lehnt es ab. Sie ist meine Tochter und gerät nach mir. Also sage ich zu meiner Frau: Was soll dabei herauskommen? Aber sie hat nicht die leiseste Ahnung. Wenn er einen Tag mal nicht aufkreuzt, ist sie völlig außer sich. Das einzige, wovor sie Angst hat, ist, er könnte eine andere finden. Die Wahrheit ist, Rabbi, daß er zehn andere hat. Das ist nun einmal seine Natur. Jeder Weiberrock versetzt ihn in Erregung. Ich bin ein beständiger Mensch, Rabbi. Ich, wenn ich eine Frau habe, laufe ich nicht irgendeiner anderen nach. Also sage ich: Was wird nun? Es ist, als redete man gegen eine Wand! Er brauchte nur den Mund aufzumachen, und sie würde mit ihm nach Amerika gehen. Sie ist von ihm verführt worden, Rabbi, ganz und gar verführt.«
      »Alle Gottlosen sind verführt! Aber Ihnen ist verboten, mit ihr zusammenzuleben.«
      »Vielleicht können wir immer noch Frieden schließen. Den Kindern zuliebe.«
      Vater machte eine Bewegung, als wolle er aufstehen. »Sie töten auch Ihre Kinder. Wenn die Kinder sehen, daß Sie all das wissen und dazu schweigen, nehmen sie an, daß alles gut so ist.«
      »Heißt das, es wäre besser für mich, von zu Hause fortzugehen und alles aufzugeben?«
      »Nennen Sie das ein Zuhause? Die Gemara sagt, ein Mensch könne nicht mit einer Schlange im selben Korb leben –«
      »Ja, Rabbi, so ist es: eine Schlange … Gute Nacht, Rabbi.«
      »Was? Ach so, gute Nacht.«
      »Ich werde alles überdenken.«
      »Ja …«
      Als der Mann fort war, kam ich hinter dem Bücherschrank hervor.
      »Du warst die ganze Zeit hier?«
      »Ich habe nach einem Buch gesucht.«
      »Und du hast alles gehört?«
      »Ich habe nicht darauf geachtet.«
      »Das ist auch besser so. Besser so. Sünder sind leider sehr dumm!«
      Und Vater nahm das schmale, schwarze Bändchen aus der Gemara heraus und widmete sich wieder seinem Studium.

Aus dem Ausland zurück

    Die Tür ging auf, und ein Paar kam herein. Der junge Mann war hochgewachsen und trug einen kurzen gestutzten Bart. Mit seinem gepflegten Äußeren und seiner modernen Kleidung wirkte er wie jemand, der sich gewöhnlich traditioneller anzog, jetzt jedoch auf dem Weg nach Amerika oder in ein Kurbad war. Der weiche schwarze Hut und der Schirm, den er in der Hand hielt, ließen ihn wie einen Heiratsvermittler oder einen Kantor aussehen. Neben ihm stand eine kleine Frau. Ihre mit einem breiten Haarband geschmückte Perücke war so zierlich, daß sie wie ihr eigenes Haar aussah. Sie hatte die rosigen Backen eines jungen Mädchens und war ziemlich rundlich; sie schien ganz Fleisch ohne alle Knochen. Sie klammerte sich an den großen Mann wie ein kleines Mädchen.
      »Vollziehen Sie hier Trauungen?« fragte er.
      »Ja«, antwortete Mutter.
      »Wie schnell geht das?«
      »So schnell Sie wollen.«
      »Gut, und wieviel kostet es?«
      »Fünf Rubel.«
      »Gut.«
      Der junge Mann lächelte der Frau zu. Offenbar hatte er erwartet, daß es teurer wäre.
      »Wer sind die Brautleute?« fragte Mutter.
      »Ich bin der Bräutigam, und sie ist meine Braut«, erwiderte der junge Mann. »Normalerweise sind Braut und Bräutigam schüchtern, aber wir haben dazu keinen Grund. Wir sind schon einmal sechs Jahre verheiratet gewesen.«
      »Und Sie sind kein Kohen * ?« fragte Mutter.
    *
    Ein Kohen – das heißt ein Angehöriger der Priesterklasse aus dem Stamme Levi – darf keine geschiedene Frau heiraten (Anm. d. Übers.).  
      
      »Nein, ich bin Israelit.«
      »Und sie hat nicht wieder geheiratet?«
      Der junge Mann lachte. »Rebbezin, halten Sie mich für einen Ignoranten? Ich kenne das Gesetz. Ich habe früher einmal eine Jeschiwa besucht. Der Mann, der vor Ihnen steht, war ungeachtet seiner heutigen Kleidung kurz davor, die Autorisierung zum Rabbinat zu erhalten. Doch ich wollte ins Ausland gehen und sie ihre Mutter nicht verlassen. Darum haben wir uns scheiden lassen, und ich bin nach Antwerpen gegangen und dort Diamantenschleifer geworden. Aber was bedeuteten mir Diamanten, wenn ich den wahren Diamanten in Polen gelassen hatte? Ich konnte nachts nicht schlafen. Ich habe mich herumgeworfen und gewälzt wie im Fieber. Dann habe ich dort eine Dummheit begangen und geheiratet …«
      Die pummelige Frau verzog kokett das Gesicht und sagte: »Warum mußt du das alles hier erzählen?«
      »Ach was. Sie hat mir nichts abgebissen. Es hat nicht

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