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Ein Braeutigam und zwei Braeute

Ein Braeutigam und zwei Braeute

Titel: Ein Braeutigam und zwei Braeute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isaac Bashevis Singer
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Geisteshaltung einer Person zu tun. Soviel ist sicher. Unsere innere Einstellung und äußeren Umstände sind eng miteinander verknüpft. Aber welcher Art diese Verbindung ist und wie sie funktioniert – das hat man noch nicht entdeckt. Erst in den allerletzten Jahren ist den Menschen klargeworden, daß es eine solche Verbindung tatsächlich gibt.

Was ist der Zweck eines solchen Lebens?

    Wer die menschliche Natur versteht und darüber nachsinnt, wie sie sich äußert, dem wird klar, daß ein Mensch einen anderen nie wirklich kennen kann. Die Menschen tun Dinge, die überhaupt keinen Sinn zu haben scheinen.
      Ein Beispiel: der Mann in mittleren Jahren, der eine fünfzehn Jahre jüngere Frau heiratete, anschließend eine Stelle als Handlungsreisender antrat und kreuz und quer durch Rußland fuhr, um die Produkte einer großen Firma auf Kommissionsbasis zu verkaufen. Er heiratete, sagen wir, an einem Dienstag, und am Sonntag, noch bevor die sieben Festtage der Hochzeitswoche vergangen waren, brachte seine Frau ihn an den Zug nach St. Petersburg. Er hatte geplant, drei Monate wegzubleiben, mußte letztlich aber Rußland von einem Ende zum anderen durchqueren, bis zur chinesischen Grenze, und kam erst nach sieben Monaten zurück.
      Er blieb drei Wochen in Warschau und brach dann wieder auf. Bei seiner Rückkehr fand der Handlungsreisende ein Kind in der Wiege vor – sein eigenes.
      Ich will hier nicht alle seine Reisen aufzählen. Bei der Verhandlung führte seine Frau jede im einzelnen auf. Er war pro Jahr nicht mehr als einen Monat zu Hause gewesen und manchmal nicht einmal das. Ein zweites Kind wurde geboren. Die Kinder waren schon sieben und acht, aber eigentlich kannten sie ihren Vater nicht. Er kam, brachte Geschenke mit und begann im selben Moment mit den Vorbereitungen für die nächste Reise.
      Er sah wie ein Handlungsreisender aus: mittlere Statur, ziemlich korpulent, mit schwarzem Schnurrbart und Hausiererlächeln. Er hatte schon jetzt einen beachtlichen Bauch, über dem die Goldkette einer Taschenuhr hing. Er war modisch gekleidet: Melone, Nadelstreifenanzug, steifer Kragen mit abgerundeten Ecken, schwarzer Binder. Seine Stiefel waren auf Hochglanz poliert. Selbst die Art und Weise, wie er einen Finger in die Westentasche steckte und sich seine Zigaretten mit einem Feuerzeug anzündete, bewies, daß er ein Mann von Welt war.
      Er sagte mit angenehm rauher Stimme: »Ist es meine Schuld, daß ich diesen Beruf ausübe? So verdiene ich unser täglich Brot und unterhalte meine Familie.«
      Seine Art, Rauchringe durch die Nase und aus dem Mundwinkel zu blasen, zeigte mir, dem kleinen Jungen, daß er voller Erwachsenenschläue war und wußte, wovon er redete.
      Vor allem aber gefielen mir seine Manschetten mit den mit blauen Edelsteinen besetzten goldenen Manschettenknöpfen. Ein Mann mit solchen Manschetten konnte einfach kein planloser Schwätzer sein.
      Doch seine untersetzte Frau, die ein mädchenhaftes Gesicht hatte und einen Hut auf ihrem mädchenhaften Haar trug, widersprach: »Was ist das für ein Leben? Jahrelang ist er fort. Er macht mich bei Lebzeiten zur Witwe und die Kinder zu Waisen. An Pessach muß ich zum Seder ins Haus meiner Mutter gehen …« Die Frau zog ein Taschentüchlein heraus und wischte sich eine einsame Träne ab.
      Vater legte die Hand an die Stirn und fragte: »Was also wollen Sie?«
      »Für ihn wäre es besser, sich von mir scheiden zu lassen, als ein solches Leben zu führen«, sagte die Frau. »Ich halte das nicht mehr aus. Es ist eine elende Art zu leben.«
      »Was sagen Sie dazu?« fragte Vater den Ehemann.
      »Rabbi, wenn sie sich von mir scheiden lassen will, zwinge ich sie nicht zu bleiben. Mein Prinzip ist, daß zwei Menschen die Ehe bejahen müssen. Wenn eine Seite unzufrieden ist, sollte man es sein lassen.«
      Das Wort »Ehe« klang nach Kitscherzählungen und Zeitungsromanen. Selbst das Wort »unzufrieden« hatte etwas Gestelztes.
      Mutter kam herein und fragte: »Was ist der Zweck eines solchen Lebens?«
      Sie sagte das teils zu der Frau und teils zu dem Mann. Der Handlungsreisende lächelte honigsüß und ließ dabei einiges Zahngold sehen. Auch seine Worte waren golden: »Was soll ich machen, Rebbezin. Jeder Mensch hat sein Gewerbe. Meinen Sie, es ist ein Vergnügen, tagelang im Zug zu sitzen? Den einen Tag bin ich in Moskau, den anderen in St. Petersburg; den einen Tag in Nischnij Nowgorod, den nächsten in Wladiwostok.

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