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Ein Braeutigam und zwei Braeute

Ein Braeutigam und zwei Braeute

Titel: Ein Braeutigam und zwei Braeute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isaac Bashevis Singer
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Und außerdem – in Hotels zu wohnen ist auch kein Vergnügen. Ich sehne mich nach dem eigenen Bett und nach meiner Frau. Aber kaum will ich nach Hause fahren, bekomme ich ein Telegramm von meiner Firma, daß ich in den Kaukasus muß oder weiß der Teufel wohin. Dann muß ich mir wieder meinen Koffer schnappen und zur Bahnstation hetzen …«
      »Kinder müssen einen Vater haben …«
      »Natürlich, aber bei meinem Beruf kann ich meine Kinder eben nur einmal im Jahr sehen.«
      Ich war damals nur ein kleiner Junge, aber trotzdem spürte ich, daß dieser Mann nicht so unglücklich war, wie er zu sein vorgab. Auf seinen wulstigen Lippen schien stets ein Scherz zu liegen. Er genoß diese Reisen offenbar kolossal. Seine Augen glänzten vor öliger Befriedigung und dem Stolz, daß er solche langen Fahrten unternehmen mußte, weil seine Firma ihn brauchte. Er schien sich in all diesen Zügen, Bahnhöfen und Hotels durchaus heimisch zu fühlen. Ich hatte zu der Zeit schon Scholem Alejchem seine Geschichte von den zwei Handlungsreisenden vortragen hören, die auf dem Rücken eines griechisch-orthodoxen Geistlichen Karten spielen – und mir kam es so vor, als sei dieser Handlungsreisende einer der beiden Männer. Er saß im Zug, trank Tee, spielte Karten und erzählte Geschichten. Wer weiß, was sich an all diesen fernen Orten abgespielt haben mochte.
      Nach längerem Hin und Her versprach der Handlungsreisende, er wolle versuchen, seine Firma dazu zu bringen, ihn weniger reisen und mehr in Warschau arbeiten zu lassen. Er bot seiner Frau den Arm, und sie gingen. Selbst sein Gang war verschlagen und falsch. Ich bemerkte, daß seine Absätze um eine Gummischeibe verstärkt waren, damit er größer wirkte. Seine Schritte waren unhörbar. Ich spürte (oder erkenne vielleicht erst jetzt), daß Frau und Kinder für ihn auch nur ein Jux waren – eine der zahllosen komischen und unterhaltsamen Anekdoten, die Handlungsreisende sich im Zug untereinander oder Wildfremden erzählen.
      Nachdem ich eine Zeitlang den Cheder nicht besucht hatte, schrieben meine Eltern mich wieder ein. Zufällig war es derselbe Cheder, den auch der ältere Sohn des Handlungsreisenden besuchte. Er lernte nicht bei meinem Lehrer – der den Talmud lehrte –, sondern bei dessen Sohn, der die Anfänger unterrichtete. Der Junge hatte einen nichtjüdischen Vornamen: Kuba. Er kam nur für ein paar Stunden in den Cheder, weil er auch in eine öffentliche Schule ging. Dieser Junge war das Abbild seines Vaters: dicklich, dunkelhäutig, mit lachenden dunklen Augen, vollen Lippen und Grübchen auf den Wangen. Seine Taschen waren immer gesteckt voll von Nüssen, Pralinen, Bonbons und Spielzeug aller Art. Trotz seines Alters kannte er viele Geschichten. Er wußte nicht, daß seine Eltern zu uns gekommen waren, um ein gerichtliches Verfahren einzuleiten; ich jedoch wußte das und stellte mich dumm. Kinder haben oft ein gutes Gespür für das, worüber man reden darf und was verschwiegen werden muß. Ich war schon imstande, nicht aus der Schule zu plaudern …
      Kuba gab ständig mit seinem Papa an: wieviel er reiste, was er alles erlebte und was für Geschenke er ihm jedesmal mitbrachte. Der Junge besaß eine Eisenbahn mit Schienen und weiteres Spielzeug dieser Art. Selbst die Nippes, die er in den Cheder mitbrachte, waren Schätze. Zum Beispiel hatte er einen Elfenbeinfederhalter, in dessen Schaft ein winziges Fenster saß. Wenn man hineinsah, erblickte man Krakau. Er hatte auch Buntstifte und sogar einen kleinen Kasten mit Farben, mit denen sich nur malen ließ, wenn man sie mit Spucke befeuchtete.
      Einmal geschah es, daß eine Woche verging, ohne daß der Möchtegerngelehrte (wie der Lehrer ihn nannte) sich im Cheder blicken ließ. Daraufhin schickte der Lehrer mich und einen anderen Jungen zu ihm, um herauszufinden, was passiert war. Vielleicht war Kuba krank.
      Wir machten uns auf den Weg. Die Familie wohnte nicht mehr in unserer Straße, sondern in der Gnojna. Die Treppe war schmutzig, aber unter dem Dreck sah man das Weiß des Marmors. Ich läutete, und ein Dienstmädchen machte uns auf. Zuerst wollte sie uns nicht einlassen, aber Kuba hatte uns gehört und bat uns hinein. Ich stand staunend da. Die Zimmer waren riesig. Kuba hatte etwas an, was ich noch nie gesehen hatte; erst später erfuhr ich, daß es ein Schlafanzug war. Er war wohl ein bißchen erkältet. Sein Hals war gerötet, aber er spielte mit seinen Spielsachen und jagte feurig

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