Ein Braeutigam und zwei Braeute
wie ein Füllen über die gebohnerten Fußböden. Seine Mutter schrie ihn an, und das Mädchen schalt ihn ärgerlich auf polnisch.
Plötzlich bemerkte ich einen Mann, der durch die Räume strich, aber es war nicht der Handlungsreisende. Er war untersetzt, dünn, mit blassem Gesicht und blondgelocktem Haar. Sein Binder sah mehr wie eine Schleife aus als wie eine Krawatte. Ich fragte Kuba, wer das sei.
»Er bringt Mama bei, wie man Klavier spielt.«
»Was ist das?«
»Kommt, ich zeig's euch.«
Er rannte zum Klavier und hämmerte auf die Tasten ein. Töne und Obertöne erfüllten die Wohnung. Seine Mutter fing an, ihn auf polnisch anzukeifen, und wir, die beiden Abgesandten, hätten uns gern verdrückt, aber dann bot sie uns einen Imbiß an. Jeder von uns bekam einen Keks und ein Glas Kakao, Kuba auch, aber der hatte es mit dem Trinken nicht eilig. Er war schon von Süßigkeiten übersättigt.
Kuba erzählte uns von dem Klavierlehrer. Er konnte alles spielen. Er war Musikprofessor und war mit den Philharmonikern aufgetreten. Er war auch verrückt. Wenn Mama nicht gut spielte, stöpselte er sich die Ohren mit den Fingern zu und kreischte und fegte das Notenblatt zu Boden. Manchmal nahm der Lehrer ihn und seine kleine Schwester, die jetzt gerade in der Schule war, mit ins Kino, wo Menschen aller Art auf einer Leinwand gezeigt wurden. Der Klavierlehrer sprach kein Jiddisch, nur Polnisch.
»Ist er dein Onkel?«
»Nein, ist er nicht.«
Ich hatte damals keinen Verdacht, aber ich begriff, daß das alles nicht koscher war. Alle diese Dinge schmeckten nach Sittenlosigkeit: ein Klavier, eine verheiratete Frau ohne Perücke, ein Mann, der einer Frau Klavierstunden gab, ein kleiner Junge, der eine öffentliche Schule besuchte und zu Hause barhaupt herumlief. Ich habe ihn nie wiedergesehen – weder ihn noch seine Mama, noch den Klavierlehrer, noch auch seinen Vater, der von einem russischen Jahrmarkt zum anderen, von einer russischen Messe zur nächsten zog, eine nett aussehende Frau und zwei wohlgeratene Kinder unterhielt und einen Klavierlehrer obendrein.
Dieser Handlungsreisende, der ungezählte Anekdoten über andere erzählte, hatte sein eigenes Leben in eine Anekdote verwandelt. Aber warum? Warum heiratete ein Mann und brach dann in die Ferne auf? Hatte er so großes Vertrauen in die Treue der Frauen? Oder zerbrach er sich darüber nicht den Kopf? Und wozu brauchte er eine Familie, wenn er sie so selten sah?
Ein Fremder kann das sicherlich nicht beantworten, aber ich weiß nicht, ob der Handlungsreisende selber es gekonnt hätte. Hinter all den Witzen und Geschichten lebte in diesem Mann offensichtlich ein anderes Wesen – eines mit anderen Auffassungen und anderen Beweggründen.
Ein Rechtsstreit und eine Scheidung
Ich gestehe dir, lieber Leser, daß ich mir aus Hunden nicht viel mache. Die Wahrheit ist, ich kann sie nicht ausstehen. Wenn ich ganz ehrlich sein soll: ich hasse sie. Wenn es nach mir geht – und meine beiden Großväter waren derselben Ansicht –, ist ein Hund ein räudiger Köter, ein Kriecher, ein heulender, bissiger Stiefellecker. Was kann man an einem Hund mögen?
Und selbst wenn ich positive Gefühle für Hunde gehegt hätte, wären sie mir nach jenem Rechtsstreit vergangen.
Die Tür zu Vaters Gerichtszimmer ging auf, und ein vierschrötiger großer Mann kam herein. Er trug eine graue Jacke, graue Hosen und einen grauen Hut. Seine Kleidung war mehlbestäubt. Er hieß Sainwel und war Bäcker in unserer Straße. In dem Hof, in dem die Bäckerei untergebracht war, konnte man ihn oft beobachten, wie er in nichts als langen Unterhosen, zerknautschten Filzpantoffeln und einer kegelförmigen Papiermütze anstelle eines Huts herumspazierte.
Bäckergesellen verdienten gut, aber Sainwel arbeitete in der Bäckerei seines Vaters und wurde noch besser bezahlt als die anderen. Er hatte eine helle Haut, blaue Augen, den dicken Hals und die massigen Schultern eines Boxers. Er knetete riesige Teigstücke, eine Arbeit, die den, der nicht kräftig genug dafür ist, leicht kaputtmachen kann.
Er baute sich vor Vaters Schreibtisch auf, hieb mit der Faust darauf und sagte: »Rabbi, ich will Klage erheben.«
»Gegen wen?«
»Meine Frau.«
»Setzen Sie sich. Was ist los?«
»Rabbi, entweder ich oder der Hund«, dröhnte Sainwel.
»Für uns beide ist im Haus kein Platz.«
»Wer ist dieser Hund?«
»Es ist ein richtiger
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