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Ein Buch für Hanna

Ein Buch für Hanna

Titel: Ein Buch für Hanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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anziehen.«
    Hanna zog ihre neuen, sauberen Sachen an und setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. Die Ärztin ging ihre Notizen durch. »Soweit ich sehen kann, bist du gesund, nur schrecklich unterernährt«, sagte sie, ohne Hanna anzuschauen. Dann hob sie den Kopf. »Sechs Jahre bist du nun schon unterwegs, diese Verbrecher haben dir deine ganze Jugend gestohlen.«
    Hanna zuckte mit den Schultern. »Aber ich lebe«, sagte sie und wunderte sich, dass der Frau Tränen in die Augen stiegen.

Siebzehntes Kapitel
    K eine zwei Wochen später war der Krieg zu Ende. Im Quarantänelager fand eine Feier statt und viele Reden wurden gehalten. Ein Rabbiner mit faltigem Gesicht und grauem Bart dankte dem Allmächtigen, »der uns mit starker Hand und mit ausgestrecktem Arm aus Ägypten geführt hat« , Worte, die die Juden sonst am Pessachfest sprachen. »Daher ist es unsere Pflicht«, sagte er, »ihm zu danken, ihn zu loben, zu preisen, zu verherrlichen, zu erhöhen, zu huldigen, zu segnen, zu lobsingen und zu feiern. Ihn, der für unsere Väter und für uns alle diese Wunder gewirkt. Aus Knechtschaft führte er uns zur Freiheit, aus Kummer zur Freude, aus Trauer zur festlichen Feier, aus Finsternis zum hellen Licht, aus Sklaverei zur Erlösung. Lasst uns ihm ein neues Lied anstimmen. Halleluja.«
    Hanna saß zwischen Rachel, Bella und Rosa. Sie hörte sich die Reden an und dachte: Was soll das? Warum danken sie ihm? Wenn er die Macht hatte, uns aus der Sklaverei zur Erlösung zu führen, warum hat er es dann nicht früher getan? Sie sollten lieber dem Roten Kreuz danken und all den Menschen, die sich dafür eingesetzt haben, uns zu retten, zum Beispiel diesem Folke Bernadotte und Doktor Holm, der persönlich mit den Bussen nach Theresienstadt gefahren ist, um uns aus der Hölle herauszuholen.
    Rachel, die neben ihr saß, sagte leise: »Solange ich nicht weiß, was mit meinen Eltern und Geschwistern ist, kann ich mich nicht freuen.« Und Bella nahm die Brille ab und wischte sich mit dem Ärmel ihres neuen, grün karierten Kleides über die Augen. Rosa saß zusammengesunken da, das Gesicht gesenkt, die Arme um sich geschlagen, als wolle sie sich selbst umarmen. Sie gab keinen Ton von sich, schien nichts zu hören. Hanna wusste, dass sie an diesem Tag an ihren Onkel in New York geschrieben hatte, einen jüngeren Bruder ihrer Mutter, der rechtzeitig vor dem Krieg ausgewandert war. Sie überlegte, ob Rosa jetzt von Amerika träumte, wagte aber nicht, sie zu fragen. Ihr war aufgefallen, wie wenig sie von Rosa wusste, trotz der anderthalb Jahre, die sie gemeinsam in Theresienstadt verbracht hatten.
    Die Reden wollten nicht aufhören. Große Worte fielen, Sieg über die Macht des Bösen, Beginn einer neuen Zeit nach Jahren des Schreckens und immer wieder Frieden, Frieden, Frieden. Ab und zu hörte man auch Worte wie Rache und Vergeltung und dass man nie vergessen dürfe. Und es wurde für die vielen Menschen gebetet, von denen man nicht wusste, wo sie waren und ob sie überhaupt noch lebten, Verwandte, Freunde, Nachbarn. Viele weinten.
    Der Krieg war zu Ende, aber Hanna empfand weder Triumph noch Freude, sie fühlte sich einfach leer. Die Alliierten hatten gesiegt, aber was bedeutete das für sie? Sie war zwanzig Jahre alt und hockte in einem Quarantänelager in Schweden fest. Hitler war tot, aber nichts war, wie es vorher gewesen war, nichts würde je wieder so sein. Es war, als ginge sie das alles kaum etwas an. Niemand konnte die Zeit zurückdrehen, die vergangenen sechs Jahre waren nicht ungeschehen zu machen.
    Hanna saß mit Sarah, deren Mutter auf die Krankenstation verlegt worden war, auf einer Bank vor dem Haus. »Ich weiß ja, dass ich froh sein sollte«, sagte sie, »aber ich bin es nicht. So habe ich mir die Befreiung nicht vorgestellt.«
    »Und wie hast du sie dir vorgestellt?«, fragte Sarah.
    »Anders, ganz anders. Aufregender vielleicht. Ich habe gedacht, jetzt fängt ein neues Leben an, ein glückliches Leben.«
    Sarah senkte den Kopf. »Ich habe mir vorgestellt, wir könnten weiterleben wie früher, einfach weiterleben. Ich habe gedacht, wir fahren nach Hause, machen die Tür auf und sind wieder da.«
    »Stattdessen sitzen wir in einem Lager wie vorher und deine arme Mutter liegt im Krankensaal«, sagte Hanna. »Der einzige Vorteil ist, dass es hier keine Wanzen und keine Läuse gibt. Und dass wir genug zu essen bekommen.«
    Das war entscheidend. Wie in Theresienstadt drehten sich ihre Gedanken und Wünsche nur

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