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Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser

Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser

Titel: Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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gelben Lichtschein sah, der in den Hof fiel, zog er Dino beiseite und drückte sich flach an die Wand. Sie hörten das Schlurfen von Schritten, und beide erkannten den schweren Schritt von Professor Jarvis auf der hinteren Treppe. Das nächste Geräusch war ein metallisches Klappern, und als Perry vorsichtig um die Ecke blickte, sah er, wie der alte Mann den Deckel eines Mülleimers hochob. Es war ein einfacher und keineswegs ungewöhnlicher Vorgang, aber der Gegenstand, der in die Mülltonne gelegt wurde, war ungewöhnlich: Es war ein großer runder Pappkarton, immer noch mit einem rosafarbenen Band säuberlich verschnürt. Jarvis schob ihn in den Mülleimer und klappte den Deckel wieder zu. Anschließend schlurfte er zum Haus zurück und schloss die Tür.
    »Hast du das gesehen?« flüsterte Perry.
    »Was gesehen? Er hat doch bloß irgendwas weggeworfen.«
    »In einem Karton? Mit einem Band verschnürt?«
    »Wenn er ebenso ordentlich ist.«
    Verächtlich schnaubte Perry durch die Nase und packte Dinos Arm. »Los«, sagte er. »Das wollen wir uns mal ansehen.«
    »Aber Perry...«
    »Komm jetzt!«
    Auf Zehenspitzen schlichen sie zur Rückseite des Hauses. Mit spitzen Fingern hob Perry vorsichtig den Deckel des Mülleimers, und Dino zog die runde Schachtel heraus, die auf dem übrigen Müll lag. Dann ließ Perry den Deckel geräuschlos wieder herunter, und sie gingen zur Straße zurück!
    Den Inhalt der Schachtel untersuchten sie erst, als sie mehr“ als sechs Querstraßen vom Wohngebiet entfernt waren. Sie hockten in der Halle eines der Schlafgebäude, und Perry stellte den Karton auf einen Heizkörper. Bevor er jedoch das rosafarbene Band aufknotete, sah er Dino eine Weile mit völlig starrem Gesichstausdruck an.
    »Einen Moment«, flüsterte er. »Mir ist gerade etwas eingefallen.«
    »Was denn?«
    »Hast du nicht gesagt, dass die Frau des Professors schon eine ganze Weile weg ist?«
    »Ja. Warum?«
    Perry wischte sich die Hände an den Hosen ab und starrte die Schachtel an. »Dino, vielleicht hältst du mich für verrückt...«
    »Das tue ich sowieso.«
    »Es ist mein Ernst. Du weißt, wie er von seiner Frau immer behandelt worden ist. Was also, wenn – ich meine, wäre es nicht möglich, dass der alte Knabe sich endlich aufgerafft hat und – und ihr etwas angetan hat?«
    »Was denn? Mensch, Perry, an was denkst du?« Dann folgte er Perrys Blick zu der Schachtel. »Ach du lieber Gott«, sagte er. »Um Himmels willen, Perry, du meinst doch nicht...«
    »So was kommt doch vor, oder? Ich meine, dass Ehemänner manchmal ihre Frau erschlagen. Er hat behauptet, dass seine Frau zu ihrer Schwester gefahren sei, aber das braucht noch lange nicht wahr zu sein.«
    »Du glaubst doch nicht, dass diese Schachtel...«
    »Wir sollten sie lieber aufmachen«, sagte Perry entschlossen.
    »Ich nicht! O nein, ich nicht!« sagte Dino. »Du hast versucht, mir einen Schrecken einzujagen – und das ist dir gelungen. Du wolltest diese – dieses Ding aufmachen; also fange an. Ich rühre nichts an!«
    Perry lachte.
    »Sei doch kein Feigling. Wahrscheinlich enthält sie bloß Apfelsinenschalen.«
    »Dann mache sie doch auf – los.«
    Perry legte seine Hand auf die Schleife, zögerte jedoch.
    »Los!« sagte Dino. »Du hast damit angefangen – nun mache auch weiter.«
    Perry knotete die rosafarbene Schleife auf. Während Dino in Erwartung grässlicher Überraschungen zwei Schritte zurücktrat, nahm Perry vorsichtig den Deckel ab.
    Es war eine Hutschachtel, denn in ihr lag, immer noch in Seidenpapier gewickelt, so dass es aussah, als käme er gerade von einer Putzmacherin, ein kecker kleiner Strohhut, der an der Vorderseite lustig mit einem Strauß künstlicher Blumen garniert war.
    »Das ist ein Hut«, sagte Perry bestürzt. »Nur ein Hut.«
    »Um Himmels willen», sagte Dino kaum hörbar.
    »Warum hat er ihn nur weggeworfen? Ich meine, er ist doch noch ganz neu.«
    »Vielleicht mag er ihn nicht.«
    »Schon, aber seine Frau doch bestimmt. Trotzdem wirft er einen nagelneuen Hut einfach weg.«
    »Seine Frau kann es nicht verhindern – sie ist nicht da.«
    »Und das ist der springende Punkt«, sagte Perry. »Sie ist nicht da. Also kann er tun, was er will.« Er packte seinen Freund am Rollkragen des Pullovers. »Kapierst du denn nicht, Dino ? Er hat ihn weggeworfen, weil er ihn nicht mehr haben will – weil sie ihn nicht mehr brauchen wird.«
    »Perry, du bist verrückt!«
    »Aber es stimmt! Merkst du denn nichts? Er hat sie beseitigt.

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