Ein Cowboy für Bille und Zottel
in die Halle nehmen konnte, um sie dort zu longieren, denn es war unmöglich, alle zu reiten. Bille und ihre Freunde taten ihr Bestes, um jeden ihrer Lieblinge zu seinem Recht kommen zu lassen. Und Herr Tiedjen unterrichtete vom Sattel aus, um die Zeit für das Training eines weiteren Pferdes zu nützen.
Edmund der Weise, der erst vor kurzem mit dem Reiten begonnen hatte, verbrachte jetzt viele Stunden im Sattel und begann, nicht mehr nur wie eine versehentlich dort hingeratene Riesenheuschrecke auszusehen.
In den Pausen nahmen Petersen und Hubert die Stuten an die Longe, die in wenigen Wochen oder Monaten fohlen sollten: Jacaranda, Donau und Santa Monica. Auch Iris erwartete im kommenden Jahr wieder Nachwuchs — allerdings erst im Mai.
Simon ritt heute den schönen Rappen Black Arrow und Bille ihren Liebling Troja, als Daniel mit seinem Schimmel Asterix in die Bahn kam und das Tor schloß.
„Habt ihr schon gehört? Herr Tiedjen kommt heute nicht zum Unterricht, er mußte nach Hamburg fahren. Frau Beck hat es mir eben gesagt.“
„Mist! Ich hatte mich so auf die Stunde gefreut“, rief Bille und wechselte durch die Bahn. Troja ging in einem wunderbar weit ausgreifenden Trab, als berühre sie kaum den Boden. „Hat sie gesagt, was er in Hamburg will?“
„Nein, aber was tut man schon drei Tage vor Weihnachten in der Stadt. Geschenke einkaufen.“
„Für wen braucht Herr Tiedjen schon Geschenke! Ein paar Kleinigkeiten für seine Angestellten. Deshalb braucht er doch nicht nach Hamburg zu fahren!“
„Vielleicht will er dir ein zahmes Krokodil zu Weihnachten schenken“, rief Simon aus der anderen Ecke herüber. „Als Wachhund gegen plötzlich auftauchende Räuberbanden.“
„Kein schlechter Gedanke!“ Bille kicherte. „Das hätte ich brauchen können damals. Aber dann bitte gleich ein feuerspeiendes.“
„Wer speit Feuer?“ Auf der kleinen Tribüne tauchte Florians Kopf auf. „Von was redet ihr da?“
„Von den Geschenken, die Herr Tiedjen für seine Leute zu Weihnachten kauft. Für Edmund den Weisen zum Beispiel eine Simultan-Übersetzungs-Anlage im Handtaschenformat.“
„Eine was, bitte?“ Florian starrte seinen Bruder Simon verständnislos an.
„Eine Übersetzungs-Anlage für die Sprache der Tiere — so wie es die Politiker zum Beispiel bei der UNO haben. Jeder hört in seinen Kopfhörern den Text in seiner eigenen Sprache. Und da unser lieber Edmund so scharf darauf ist, sich mit den Tieren zu verständigen, wird ihm Herr Tiedjen sicher eine solche Spezialanlage zu Weihnachten schenken“, erklärte Simon grinsend. „Wenn jetzt also eine Kuh ,muuh — uuhuu – muhmuh’ sagt, hört Edmund in seinen Kopfhörern die Übersetzung: Ich hasse diese elektrischen Melkmaschinen! Beim Anlegen kriege ich immer eine Gänsehaut unterm Fell. Und der Idiot von Melker hat wieder so kalte Pfoten!“
Bille, Daniel und Florian lachten so schallend auf, daß die Pferde erschrocken zu tänzeln begannen.
„Und kann er auch die Pferdesprache abhören?“ fragte Bille kichernd.
„Klar! Stell dir vor, er kommt in den Stall und hört wie Black Arrow zu Zottel sagt: Höhöhühühöhö!“
„Das klang sehr drohend. Was heißt es denn?“
„Wehe, Bursche, wenn du mich bei deiner nächsten Herrenpartie nicht mitnimmst!“
Sie lachten so laut, daß sie gar nicht bemerkten, wie das Tor geöffnet wurde und Herr Tiedjen hereinkam. Ihm folgte ein fremder junger Mann, von dem man — da er im Schatten stand — nicht viel mehr sehen konnte, als daß er Herrn Tiedjen um Haupteslänge überragte.
„Guten Abend, meine Lieben!“ rief Herr Tiedjen und fügte in gespieltem Ernst hinzu: „Abteilung rechts marschiert auf! Abgesessen! Florian — komm du auch her!“
Florian sprang über die Balustrade und stapfte zu den anderen in die Mitte der Bahn. Bille beugte sich zu Simon hinüber.
„Wer ist denn der da hinten? Kennst du ihn?“
„Keine Ahnung. Vielleicht ein neuer Assistent — wie Edmund der Weise ..
Herr Tiedjen winkte dem Besucher, näher zu kommen, und jetzt sah man, daß er noch sehr jung sein mußte. Sein braungebranntes Gesicht war von einer dunklen, fast schulterlangen Mähne umrahmt. Die hellblauen Augen standen in eigenartigem Kontrast zu den kräftigen, breiten Augenbrauen. Er war einfach unverschämt hübsch, stellte Bille fest, aber das Unverschämteste waren zwei tiefe Grübchen, die ihm, auch wenn er ernst war, das Aussehen eines lächelnden Siegers verliehen.
„Ich möchte euch
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