Ein Cowboy für Bille und Zottel
mit jemandem bekannt machen, der hoffentlich bald euer Freund sein wird“, sagte Herr Tiedjen. „Dies ist mein Sohn Tom. Er ist heute aus Kalifornien angekommen, ich habe ihn gerade vom Flugplatz abgeholt. Er wird jetzt hierbleiben, um sein Deutsch zu vervollkommnen und sein Geburtsland kennenzulernen. Tom — das sind meine Schüler. Bille...“
„Hallo, Bille!“
Tom trat auf Bille zu und schüttelte ihr die Hand. Bille war so verwirrt von der umwerfenden Neuigkeit, daß sie nichts als ein heiseres „Hallo!“ herausbrachte. Sie fühlte, wie ihr Gesicht die Farbe einer reifen Tomate annahm und drehte sich zu Troja um, als gäbe es dringend etwas an deren Zaumzeug zu richten.
„Ein wunderschönes Pferd!“ sagte Tom in bestem Deutsch, wenn auch mit starkem amerikanischem Akzent. „What’s her name?“
„Das ist Troja“, antwortete Bille schnell. „Ja, sie ist besonders schön, und sie geht phantastisch.“
„I’ll try her tomorrow. Ich werde sie morgen reiten, wenn es Daddy recht ist. Und dir auch.“
„Aber klar, warum denn nicht?“
War es ihr recht? Sie hatte es betont munter gesagt. Aber in ihrem Inneren meldete sich leiser Protest, wenn sie auch diese Regung sofort unterdrückte. Sie wußte selbst nicht, warum sie gegen diesen hübschen, freundlichen Jungen ein solches Mißtrauen empfand. Sie kannte ihn doch noch gar nicht, er hatte ihr nichts getan! Warum denn also das Gefühl, als sei sie eine Katze, die man gegen den Strich streichelt? War es sein Aussehen? Sie hatte sich einen schmächtigen, bebrillten College-Knaben vorgestellt, und nun kam Supermann persönlich daher. Kam, sah und siegte. War kein Großstadtkind, das vor Pferden ängstlich zurückwich, sondern konnte reiten und verstand offensichtlich etwas von Pferden. Das sah man an der Art, wie er Troja anfaßte, ihr prüfend und zärtlich zugleich über Hals und Kruppe fuhr. Und Troja beschnupperte ihn so vertraulich, als wollte sie ihn zur Begrüßung abküssen! Bille gab es einen Stich.
Tom war weitergegangen und begrüßte nun Simon, Daniel und Florian.
„Wo ist Bettina?“ fragte er schließlich. „She’s not coming tonight?“
„Sie ist krank, erkältet“, erklärte Daniel. „She’s not well. But I think, she’ll come tomorrow.“
„Bitte sprecht mit Tom möglichst nur Deutsch“, sagte Herr Tiedjen lächelnd. „Denn dafür ist er ja hergekommen.“
„Okay.“
Alle lachten. Daniel hatte gar nicht bemerkt, daß er auf Herrn Tiedjens Bitte „amerikanisch“ geantwortet hatte und schaute erstaunt in die Runde.
„Das ist Asterix, ja? Wie alt ist er jetzt?“ erkundigte sich Tom.
„Vierzehn. Du weißt gut Bescheid über unsere Pferde.“
„Daddy mußte mir alles genau schreiben. Meine Mutter ist nicht besonders interessiert in Pferde ..
„...an Pferden“, warf Herr Tiedjen ein.
„...ja, pardon, an Pferden. Aber ich! Ich habe gekämpft für jede Minute Reiten, und alle Ferien war ich auf einer Farm von einem Freund — nur immer im Pferdestall. Tag und Nacht.“
„Du reitest sicher sehr gut?“ erkundigte sich Daniel.
„Sicher nicht. Nicht so gut wie ihr. Aber ich werde es bald tun — jetzt, wo ich bei Daddy bin.“ Tom trat zu Black Arrow und klopfte ihm den Hals. „And how are you, old boy? Where’s your funny little friend?“
„Zottel ist drüben im Stall. Du kennst Black Arrow?“
„Ja. Daddy hat ihn bei Freunden von uns gekauft. Sie haben ein — wie sagt man...“
„Ein Gestüt?“
„Ja. Ein Gestut.“ Das „ü“ machte Tom noch am meisten Schwierigkeiten.
Davon hatte Herr Tiedjen nie etwas erzählt. Kein Wort davon, daß er seine Familie in Amerika regelmäßig besucht und mit seinem Sohn ein Pferd gekauft hatte. Warum nur? Bis heute hatte sich Bille eingebildet, ihn gut zu kennen, hatte geglaubt, einen vertrauten Freund in ihm zu haben, eine Art Ersatz-Vater. Und nun stellte sich heraus, daß dieser Freund Geheimnisse vor ihr gehabt, ihr ganz wesentliche Dinge nicht anvertraut hatte. Bille war es, als wäre ein schwerer Vorhang zwischen ihnen niedergegangen, sie fühlte sich plötzlich so traurig und alleingelassen, daß sie am liebsten geweint hätte.
Zu blöd, beschimpfte sie sich. Was ist bloß mit mir los? Er ist sein Sohn, er ist nett, er versteht etwas von Pferden und reitet, alles ist okay, warum sollen wir uns nicht gut verstehen? Aber die Traurigkeit blieb.
„Komm, jetzt will ich dir die Ställe zeigen“, sagte Herr Tiedjen und nahm Tom am Arm.
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