Ein Cowboy für Bille und Zottel
sind“, sagte Mutsch ungerührt. „Ihr habt noch nie was verkommen lassen.“
„Das ist auch wieder wahr. Also, bis später.“
Sicherheitshalber nahm sie Zottel am Zaumzeug, um die Kostbarkeiten unbeschädigt ans Ziel zu bringen. Vor dem Strohdachhaus warteten bereits die Freunde.
„Donnerwetter, muß ich heute ,Sie‘ zu dir sagen?“ flachste Simon. „In so einem Kleid bist du wirklich ’ne Wucht!“
„Danke. Aber in Hosen fühle ich mich wesentlich wohler.“ Bille blickte unbehaglich an sich herunter. „Keine Ahnung, woran es liegt, aber so komme ich mir irgendwie nackt vor.“
„Beeilt euch, Kinder, die ersten Gäste kommen gleich!“
Inge erschien in der Haustür und begann, die Kutsche zu entladen.
„Tragt erst mal alles in die Küche!“
„Wie fühlst du dich heute, große Schwester?“
„Durchwachsen bis mittelprächtig. Wird schon schiefgehen. Jedenfalls geht es Thorsten heute wesentlich schlechter als mir.“
„Kann ich mir denken.“
„Komm, ich muß dir ganz schnell was zeigen!“
Inge nahm Bille bei der Hand und zog sie um das Haus herum zum Schuppen.
„Warte!“
Sie drückte auf einen Schalter an der Außenwand, dann öffnete sie die Tür.
Bille verschlug es den Atem. Über einem duftigen Schleier, den Bille unschwer als Inges Brautschleier identifizieren konnte, schwebte der „Sterbende Schwan“ — von mehreren versteckten Lampen magisch beleuchtet. Unter dem Schleier ahnte man ein Metallrohr, auf dessen oberem Ende sich eine kleine Plattform befand. Darauf stand die Skulptur.
„Super! Das haut einen ja direkt vom Stühlchen! Na, wenn das kein Erfolg wird!“
„Ein bißchen wackelig, die Angelegenheit. Hoffentlich stößt keiner dran. Wir müssen eben aufpassen.“
Sorgsam verschloß Inge die Tür wieder und schaltete das Licht aus. Als sie zu den anderen zurückkehrten, fuhr bereits der erste Besucher vor, ein Freund und Lehrer Thorstens, der es übernommen hatte, die einführenden Worte zu sprechen. Inge begrüßte den Gast, während Simon und Florian die letzten Kartons ins Haus trugen. Bille führte Zottel mit der Kutsche beiseite und band ihn neben der Garage an.
Und dann brach es wie eine Sturmflut über sie herein. Wagen auf Wagen rollte heran und hielt vor der Einfahrt. Das Haus füllte sich so rasch, daß Bille und ihre Freunde Mühe hatten, schnell genug Nachschub an gefüllten Gläsern und Platten heranzuschaffen. Von Thorstens Werken war vor Menschen kaum noch etwas zu sehen. Der Raum schien vom Stimmengewirr zu vibrieren.
Als Bille auf dem Weg zur Küche einen Blick nach draußen warf, war die Straße von parkenden Autos hoffnungslos überfüllt. Und immer noch kamen neue. Karlchen kurvte auf seinem Moped vor der Einfahrt herum und studierte interessiert die verschiedenen Autotypen.
„Wenn du schon da bist und nichts weiter zu tun hast, könntest du uns doch helfen!“ rief Bille. „Magst du nicht ein bißchen Parkwächter spielen?“
„Klar doch!“ Karlchen schien auf den Auftrag nur gewartet zu haben.
„Danke! Ich hebe dir von den Leckerbissen auch was auf. Das heißt, wenn die lieben Gäste nicht Kahlfraß machen!“
Die Befürchtung schien berechtigt. Manche Leute machten den Eindruck, als seien sie nur zum Essen und Trinken hergekommen. Und natürlich, um andere lautstark wissen zu lassen, wieviel sie von Kunst verstanden und auf welchen Ausstellungen sie überall gewesen waren.
„Nicht zu fassen!“ flüsterte Florian seinem großen Bruder zu und schenkte einem Kritiker, der aussah wie ein von Motten angefressenes Stoffkaninchen, zum fünftenmal das Glas voll. „Ich habe noch nie so viele Leute auf einmal so viel Quark quatschen hören. Wo hat er die bloß alle aufgetrieben?“
„Keine Ahnung. Da gibt’s wohl Adressenlisten, wo alle bekannten und wohlhabenden Leute drinstehen, die man zu so etwas einlädt. Da kommt Papa! Hier — drück ihm gleich ein Glas in die Hand, damit er vor Schreck nicht wieder davonläuft. Er haßt so überfüllte Buden.“
Bille betrat mit einer neuen Platte voller delikater Häppchen den Raum. Stimmung und Temperatur schienen sich gleichermaßen langsam dem Siedepunkt zu nähern. Karlchen hat es gut! dachte Bille. Der darf da draußen wenigstens an der frischen Luft Dienst tun. Wie Inge das nur aushält? Aber es scheint ihr überhaupt nichts auszumachen — sie strahlt wie ein frischgebadeter Säugling! Und. Thorsten fühlt sich wie ein König! Ein Riesenerfolg für ihn. Und eine Bombenstimmung!
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