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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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er den in seiner Glaskabine sitzenden Pförtner, ihm ein Taxi zu rufen. Und keine zehn Minuten später fuhren sie über den Kaiser-Wilhelm-Ring mit seinen Kinos, Sexshops und Bars. Zum offenen Fenster wirbelten die typischen Sommergerüche herein, Benzin, Parfüm, Pommes frites und Asphalt und das saure Aroma der Bierströme, die in den Kneipen flossen.
    Der leichte Dunst, der über der nächtlichen Stadt lag und in den Lichtkegeln der Laternen zu flimmern schien wie eine Armada von Fruchtfliegen, dieses Gemisch aus Abgasen und den durch die Luft wirbelnden Pollen von Walnuss, Löwenzahn undAmbrosia nahm den Lichtern ihre Schärfe und verlieh ihnen etwas Weiches.
    Er ließ das Taxi anhalten, zahlte und sprang, ohne die Rückgabe des Wechselgeldes abzuwarten, aus dem Wagen. Bertram tastete nach der Schwellung und dem feuchten Riss an seinem Hinterkopf und betrachtete interessiert das Blut, das an seinen Fingern klebte. Er sah auf seine Citizen, sie zeigte 22 Uhr 33.
    Er war froh, nicht länger, zur Tatenlosigkeit verurteilt, vor dem Inkubator sitzen zu müssen. Dieses angestrengte Lauschen auf jeden Atemzug des Kleinen und das damit verbundene Hoffen und Bangen hatten ihn ganz benommen gemacht. Und vollkommen ausgelaugt. Er hatte fürchterliche Angst davor gehabt, seinen Sohn sterben zu sehen. Die Vorstellung des leergeräumten Inkubators, aus dem man seinen toten Sohn entfernt hatte (um ihn irgendwo kühl zu lagern), hatte ihn plötzlich nicht mehr losgelassen und aus dem Krankenhaus fortgetrieben.
    Bertram lief auf direktem Weg ins »Number One« am Friesenplatz, wo er sich ein paar Gläser genehmigen würde, um lockerer zu werden und alles ein wenig entspannter zu sehen, ehe es wieder zurückging zu Paul und Amina, die sicher an seinem Verstand und seinen Gefühlen zweifelte, nachdem er derart kopflos aus dem Krankenhaus gelaufen war.
    Er würde sich an den Tresen setzen und dem Barkeeper dabei zusehen, wie der die frisch gespülten Gläser unter den Zapfhahn hielt und die braune Lauge hineinschoss, darin aufschäumte und stieg. Und er würde sich an dieses Bild klammern und es aufsaugen wie eine Fliege einen Tropfen Wasser, denn plötzlich war seine Sehnsucht nach Normalität riesengroß. Die Sehnsucht nach Bildern, die Sicherheit versprachen und an deren Banalität er sich festhalten konnte wie an einem Geländer.
    An seinen journalistischen Auftrag, die Entwicklung des Geiseldramas RTL-mäßig für die morgige Frühausgabe von RTL Aktuell im Auge zu behalten, mochte er nicht mehr denken. Wahrscheinlichhatten sie ihn ohnehin bereits abgeschrieben, und Maibach wartete inzwischen nur noch darauf, dass er wieder auftauchte, um ihn höchstpersönlich RTL-mäßig vor die Tür zu setzen. Dann konnte er sehen, wo er ARD-mäßig wieder unterkam, als ehemaliger RTL-Fuzzi. Aber vielleicht war das gar nicht mal das Schlechteste. (Was er nicht wusste, war, dass Sylvia ihn bei Maibach entschuldigt, an seiner Stelle die wichtigsten Fakten für ihn zusammengetragen und ihm diesbezüglich eine Nachricht auf seinem Anrufbeantworter hinterlassen hatte.)
    Später, wenn er seine Wohnung angetrunken gegen halb vier betreten und den AB abhören würde, würde er halbwegs zufrieden in einen viel zu kurzen Schlaf sinken. Denn Maibach, so Sylvia abschließend in ihrer Nachricht, bestand auf seiner Teilnahme an der aus aktuellem Anlass bereits für halb 9 Uhr angesetzten Konferenz.
    ***
    Valentin Steiner wählte die Telefonnummer seiner Stiefschwester Brigitte in Köln und ließ lange, sehr lange durchläuten. Ohne Erfolg. Brigitte war, nachdem sie von einem mysteriösen Anrufer zum dritten Mal geweckt worden war, der hartnäckig immer neu einen gewissen Born zu sprechen verlangt hatte, hinauf in die Diele gelaufen und hatte nach dem fünfzehnten Läuten wutschnaubend das Telefonkabel aus der Buchse gezogen. Anschließend war sie ins Bad gegangen, hatte, um ganz sicherzugehen, eine Donormyl genommen und sich in Erwartung der einsetzenden Betäubung wieder hingelegt.
    Valentin Steiner dagegen hatte in diesen Minuten alles andere als Schlaf im Sinn. Er war voller Sorge um seinen Vater und stand in der Küche seiner Altbauwohnung in Hanau-Kesselstadt. Mit den Autoschlüsseln in der Hand wartete er ungeduldig darauf, dass Marc endlich aus seinem Zimmer kam und sie ins Krankenhaus fahren konnten.
    Während der Fahrt sprachen sie kein Wort, Valentin Steiner konzentrierte sich auf den nicht mehr sehr dichten Verkehr, Marc blickte hinaus in die

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