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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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und geradezu herrschaftliche Gebäude ins Bild. Dazu all die Rucksacktouristen, die grölend und vom Ganja bekifft in den Cafés saßen.
    Einmal hatte Chris sich von der kleinen Gruppe gelöst und war in einen Hinterhof gelaufen, aus dem klagendes Bellen herüber auf die Straße drang. Zwischen Abfällen, aufgetürmten alten Autoreifen und einem angeketteten schwarzen und stark abgemagerten Hund hatte ein regloser, nur mit einem hellen, völlig verdreckten Tuch bedeckter Mann an die Außenwand einer Hütte gelehnt dagelegen, dessen linke, gelblich verfärbte Gesichtshälfte fast völlig von schwarzen Wundbrandlöchern durchsetzt war. Als Chris den ersten Schock überwunden hatte und genauer hinschaute, bemerkte sie die zahllosen Fliegen auf den Wunden des Mannes, der die Augen halb geschlossen hielt. In Panik hatte sie sich von dessen Anblick losgemacht und war zurück zu den anderen auf die Straße gelaufen, ohne ihnen etwas davon zu erzählen. Auch später hatte sie ihr Erlebnis für sich behalten. Wieder in Deutschland, hatte sie ein paarmal von dem Mann geträumt. Erst da hatte sie begriffen, was sie in dem Hinterhof in Kalkutta nicht hatte sehen wollen: dass der Mann bereits tot gewesen war. Nach nur drei Stunden in den von Lärm erfüllten und im Gestank des Kots der freilaufenden heiligen Kühe erstickenden Straßen Kalkuttas hatte Chris nur noch den einen Wunsch gehabt: so schnell wie möglich nach Deutschland zurückzukehren.
    Als der Tross der vor ihr fahrenden Wagen plötzlich rechts ausscherte und dem Hinweisschild der Raststätte Grundbergsee folgte, setzte sie den Blinker, zog den Wagen mit sanftem Schwung auf die äußerste rechte Spur und fuhr ebenfalls von der Autobahn ab.
    ***
    Er schlug die Augen auf, blinzelte und sah Aminas Gesicht, das in einer Entfernung von etwa 40 Zentimetern über ihm schwebte wie eine erloschene Sonne in der von tausend Sternen erhellten Atmosphäre: dunkel und beinahe kreisrund. Aus dem Dunkel traten ihre Nase, ihr Mund und ihre Augen hervor, und eine Stimme, die nicht die ihre war, sagte: »Er kommt wieder zu sich.«
    »Was ist? Wo bin ich?«, murmelte Bertram und versuchte aufzustehen, ließ es aber aufgrund des Schmerzes, der jäh durch seinen Hinterkopf rollte, augenblicklich bleiben.
    Die Dunkelheit war hinter ihm zugeklappt wie eine schwere Tür und gab ihn endgültig der Helligkeit des Zimmers preis. Dabei hätte er nichts dagegen gehabt, noch eine Weile weg zu sein. Denn anders als der Schlaf hatte die Finsternis, die ihn soeben wieder ausspuckte, etwas von einer wohltuenden Narkose gehabt, in der er es gut und gern noch eine Zeitlang ausgehalten hätte.
    »Thomas?« Amina klang, als spreche sie aus einer Muschel zu ihm. Wie eine Meerjungfrau, die ihn in die geheimnisvollen Weiten ihres unterseeischen Reiches hinabzulocken versuchte. »Kannst du mich hören?«
    Er verstand ihre Frage nicht. Natürlich konnte er sie hören. Aber etwas in ihm weigerte sich, ihr zu antworten. »Wie spät ist es?«, sagte er stattdessen.
    Er sah die Schwester an, die ebenfalls neben ihm kniete und ihn so interessiert studierte, als blicke sie durch das Okular einesElektronenmikroskops, in der Hoffnung, medizinisches Neuland darin zu erblicken.
    »Was? Wieso?« Trotz des ausdrücklichen Verbots der sie behandelnden Ärztin, körperliche Anstrengung strikt zu meiden, hatte Amina sich neben ihn auf den Boden gekniet und hielt seine Hand. »Kurz nach zehn. Aber wieso? Was spielt denn das jetzt für eine Rolle?«, sagte sie mit Blick auf Bertrams Citizen.
    »Weil ich …« Er beendete den Satz nicht, denn nun verspürte er neben dem Schmerz im Hinterkopf auch noch ein fieses Stechen in der Wirbelsäule. »Ich muss gehen«, murmelte er, richtete sich stöhnend auf und starrte ungläubig auf seine Uhr.
    »Was? Wohin? Aber wieso denn, Thomas? Nein!«, protestierte Amina und ließ seine Hand los. »Du warst bewusstlos und hast wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung.«
    Trotz ihrer Bedenken rappelte er sich vollends auf, fuhr sich mit der Hand ein paarmal über den Hinterkopf, an dem er einen Riss und eine nicht unerhebliche Beule ertasten konnte, und sah kurz die zu ihm aufschauende, aber noch immer wie eine Schwimmerin auf einem Startblock kauernde Schwester an. Dann drückte er Amina, die sich mit Hilfe der Schwester ebenfalls erhoben und wieder in ihrem Rollstuhl Platz genommen hatte, einen flüchtigen Kuss auf die Stirn und rief im Hinauseilen: »Ich bin bald wieder da.«
    Am Eingang bat

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