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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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hingelegt? Sie wusste noch, dass sie es am Morgen abgenommen hatte. Was hatte sie anschließend damit gemacht? Sie konnte sich partout nicht erinnern.
    Sie riss das dünne Laken von der Matratze, wirbelte es ein paarmal herum und in die Höhe, in der Hoffnung, der Panther habe sich womöglich darin verfangen und komme zum Vorschein. Dann fiel sie auf die Knie und drehte die Matratze um. Doch auch hier nichts! Neben dem Bett lagen einzelne Manuskriptseiten, ein Parker-Kugelschreiber und Kleenex-Tücher. An der Wand stand eine leere Mineralwasserflasche.
    Ein schwerer Stein saß in ihrer Brust und drückte ihre Organe schmerzhaft auseinander und gegen die Rippenbögen. Mühsam erhob sie sich und stieg die Treppe hinauf. Sie lief zur Garage und zog das Tor hoch. Boris war verschwunden. Mit ihrem Panther-Collier. Später stellte sie fest, dass er obendrein ihre gesamten Zigarettenvorräte, drei Stangen John Player sowie mehrere Flaschen Rotwein hatte mitgehen lassen.
    Als sie in der Küche stand, das eingeschlagene Fenster, die Glasscherben auf dem Fußboden und Vicki Baums Roman »Liebe und Tod auf Bali« aufgeschlagen auf dem Tisch liegen sah, hatte sie schon begonnen, sich mit dem Gedanken anzufreunden, dass das Collier für immer verschwunden war. Sie trat ans Waschbecken, drehte den Kaltwasserhahn auf, griff nach dem Spülmittel und goss sich einen fetten Klecks des glibberigen grünen Gels auf die Hand. Anschließend rieb sie ihre zitternden Hände so lange unter dem Wasserstrahl gegeneinander, bis der Schaum sich endlich rot zu färben begann.
    Eine halbe Stunde später rief sie bei Aventuras Reisen am Kleinen Griechenmarkt an und buchte für den frühen Abend einen Flug nach Barcelona.
    ***
    Nachdem sie mit ihrer Chefin telefoniert und erfahren hatte, dass ihr Taxi von der Polizei an der holländischen Grenze sichergestellt und ihre persönlichen Sachen bereits in der Zentrale abgegeben worden waren, nahmen sie und Ulrike den Zug zurück nach Bremen. Ihr Vater hatte am Ende schließlich eingewilligt, dass Chris eine Zeitlang bei ihm wohnte und ihr altes Zimmer wieder bezog, »aber natürlich nur so lange, bis es dir wieder besser geht, Papa«.
    »Ich packe nur das Nötigste zusammen und bin morgen wieder da«, hatte sie gesagt, ihm zum Abschied zärtlich übers unrasierte Gesicht gestrichen und ihm einen Kuss auf die Stirn gegeben. Die Vorstellung, wieder in ihrem alten Bett zu schlafen, in dem sie das erste Mal richtigen Sex mit einem Jungen, einem Spanier namens Manuel, gehabt hatte, berührte sie seltsam. Sofort stieg eine Fülle von Bildern in ihr auf, Erinnerungen an Nächte, in denen sie wach gelegen und die lautstarken Auseinandersetzungen der Eltern hatte mitanhören müssen. Momente, in denen sie sich schwor, nie so zu werden wie sie.
    Sie würde also eine Zeitlang wieder das Mädchen von damals sein. Die schlanke 16-Jährige mit den schulterlangen Haaren, den hohen Wangenknochen und den Katzenaugen, über deren unruhigen Schlaf noch einmal der französische Sänger Ricky Shayne wachen würde. Damals hatte sie seinen BRAVO-Starschnitt an die Wand über ihrem Bett geklebt. Und mehr als einmal hatte sie sich vorgestellt, wie es wäre, wenn der Lockenkopf plötzlich Gestalt annehmen, von da oben zu ihr herabsteigen und sich neben sie legen und ihr Gesicht mit Küssen bedecken würde. Bei ihrem letzten Besuch hatte sie überrascht festgestellt, dass es immer noch hing.
    Ihre Eltern saßen im Wohnzimmer vor dem Fernseher, damals, und guckten »Der Kommissar«, an einem warmen Freitagabend im Juni des Jahres 1974, als Manuel sie bei offenem Fenster und gedämpfter Beleuchtung, ein rotes Seidentuch hing über ihrerNachttischlampe und Räucherstäbchen brannten, zu den Klängen von »In-A-Gadda-Da-Vida« auf eine wunderbar unbeholfene Art entjungferte.
    Chris schob ihr Gesicht langsam bis auf wenige Zentimeter an die verschmierte Abteilfensterscheibe heran und sah hinaus in die rasch vorbeiziehende Landschaft. Sie sah riesige, in der Sonne magisch leuchtende Strohräder auf den Feldern stehen, sah einen Vogelschwarm, der einen Flecken des stahlblauen Himmels sekundenlang verdunkelte, ehe er auseinanderstob und sich darin auflöste wie Farbspritzer in einem Wasserglas, sah, als der Zug in einen Tunnel raste, in der plötzlich zu einem dunklen Spiegel gewordenen Scheibe sich selbst: schreiend in ihrem Taxi sitzend, den Kopf ängstlich zwischen die Schultern gezogen, als der erste Schuss fiel. »Nein, nicht«,

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