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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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hab einfach draufgehalten mit meiner Kamera und immer wieder abgedrückt.«
    Marc sah, dass die Hand, in welcher der Mann die Zigarette hielt, ganz leicht zitterte.
    »Als ich hinterher meine Fotos in allen Zeitungen sah, hatte ich das Gefühl, ihn mit umgebracht zu haben.«
    »Was war denn mit diesem Ohnesorg damals? Weshalb hat man ihn umgebracht?«, fragte Marc.
    »Weshalb? Weil er gegen das korrupte Schah-Regime demonstriert hat, wie all die anderen auch, und dabei zufällig zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort war! Der Kurras, dieses Schwein, hat ihn abgeknallt. Einfach so, und die anderen Bullen haben zugesehen. Hinterher hieß es, der Kurras hätte in Notwehr gehandelt.« Er hielt kurz inne. »Die Stimmung war schon im Vorfeld des Schah-Besuchs ziemlich vergiftet. Flugblätter kursierten, auf denen die Sprengung von Kasernen und Fußballstadien angedroht wurde. An Häuserwänden klebten Steckbriefe mit dem Konterfei des Schahs. Überall liefen Studenten herum und demonstrierten. Da ist dieser Polizeityp einfach durchgedreht und hat auf den Erstbesten geschossen, der ihm in die Quere kam, und das war Benno Ohnesorg.«
    »Und was ist anschließend mit dem Polizisten geschehen?«
    »Mit dem Kurras? Nichts, wurde freigesprochen. Was dann folgte, weißt du ja.«
    Marc hatte keine Ahnung, deutete aber ein zögerliches Kopfnicken an. »Ja, schon. Aber, nicht so genau, um ehrlich zu sein.«
    »Die Studentenbewegung. Das, was man später die Achtundsechziger nannte. Und dann die RAF.«
    Marc war froh, mit Erwähnung der RAF auf dem Stand seines Wissens angelangt zu sein. »Und was haben Sie gemacht, ich meine, nachdem Ihre Fotos in allen Zeitungen waren?«
    »Was ich gemacht habe? Ich fing an zu saufen.«
    »Aber Sie haben doch nur Ihre Arbeit gemacht!«, sagte Marc.
    »Das werden die, die du gestern mit ihren Kameras im Fernsehen gesehen hast, hinterher auch sagen. Wir haben doch nur unseren Job gemacht. Ich muss jetzt los.«
    Er legte einen Zehnmarkschein auf den Tresen, schob die Schachtel Gauloises, die er die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, in die Innentasche seines Sakkos und erhob sich vom Barhocker. Dann nickte er dem Mann hinter dem Tresen zu und sagte zu Marc: »Ich bin morgen gegen eins wieder hier. Komm vorbei, dann reden wir weiter.«
    Nachdem er verschwunden war, nahm der Barmann, der ihr Gespräch die ganze Zeit mit angehört hatte, den Zehnmarkschein und sagte: »Der Wandrey war mal so ’ne Art Künstler. Ein richtig toller Fotograf. Ein Jammer, dass der nicht weitergemacht hat.«
    Er zeigte auf das große, gerahmte, über dem Ledersofa hängende Schwarzweißfoto und sagte mit hörbarer Bewunderung in der Stimme: »Das hat der Jürgen gemacht. Berlin, neunzehnsiebenundsechzig.«
    Auf dem Bild war eine dem Betrachter entgegenkommende Menschenmenge zu sehen. Demonstranten, deren unerschrockenes gemeinsames Vorangehen eine derartige Kraft und Entschlossenheitausdrückte, dass Marc das Gefühl hatte, die Fotografierten müssten jeden Moment den Rahmen des Bildes sprengen und ihm entgegenkommen.
    »Stark, was?«, sagte der Barmann. »Der Jürgen hatte es drauf damals.«
    »Und warum hat er nicht weiter fotografiert?«, sagte Marc.
    »Das haste doch gerade gehört, der Suff!« Der Barmann ließ die Registrierkasse aufspringen und legte den Geldschein hinein.
    Als Marc eine Viertelstunde später mit seiner KTM auf den Besucherparkplatz der Martin Luther Stiftung rollte, schlug die Turmuhr der nahen Friedenskirche halb zwei. Die Quecksilbersäule des kleinen Außenthermometers neben dem Eingang war auf 31 Grad geklettert. Er stellte das Moped im Schatten der Platanen ab und zog den Helm vom Kopf.
    Der Großvater stand wie eine plötzlich zum Leben erwachte, schräg in die Erde gerammte Vogelscheuche mit weit ausgebreiteten Armen auf dem kopfsteingepflasterten Hof, und als wollte er jeden Moment in den stahlblauen Himmel abheben, begann er heftig mit den Armen zu rudern. Als er Marc sah, jauchzte er und humpelte ihm wie ein angeschossener Soldat entgegen.
    Marcs Vater hatte sich, als der Alte erste Anzeichen von Demenz erkennen ließ, zu informieren versucht, was diese Krankheit für seinen Vater bedeutete, welchen Verlauf sie nehmen und worauf er und Marc sich einzustellen hatten. Er war in die Stadtbibliothek am Schlossplatz gelaufen und von dort mit ebenso zahlreichen wie verwirrenden Informationen nach Hause gekommen. Da war von ins Gehirn zu implantierenden Pumpen die Rede gewesen, welche das

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