Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)
ihre Hüfte gedrückt und sich zuckend dagegen ergossen hatte.
Als Ceylan ihm offenbarte, die Tochter von Abdülkadir Coskun, Hanaus berüchtigtstem Hehler, Dealer und vielfach vorbestraften Autoschieber, zu sein, hatte Marc kurz geschluckt. Doch das Spiel mit der Gefahr übte einen unwiderstehlichenReiz auf ihn aus, und er war wochenlang wie berauscht davon. Ceylan begann irgendwann, persönliche Gegenstände in ihr gemeinsames Liebesnest mitzubringen. Zwei bestickte Kissen und eine helle Leinendecke, die sie über die Matratze breiteten. Räucherstäbchen, eine Hängeleuchte, die sie mit einem Nagel an einem Holzbalken befestigten, und noch mehr Kerzen, die sie rund um ihr Lager aufstellte.
Marc gefiel die Hingabe, mit der Ceylan ihre Liebe zelebrierte. Bis ihn eines Tages Ceylans ältere Brüder Erkan und Malik vor der Schule abfingen und drohten, ihm Schwierigkeiten zu machen, falls er nicht die Finger von ihrer Schwester ließe.
Sie hatten einander auf dem Lamboyfest kennengelernt. Marc war mit Klassenkameraden dort gewesen und in einem der Festzelte zufällig an jenen Tisch geraten, an dem Ceylan mit ihren Freundinnen saß. Marc verwickelte sie in ein Gespräch, das so lange dauerte, bis sie irgendwann alleine am Tisch saßen und ihre Hände sich wie kleine Käfer aufeinander zubewegten. Wenn sie lachte und den Kopf dabei leicht schräg legte, schaukelten an ihren Ohren die dem türkischen Halbmond nachempfundenen Silberhänger.
Seine Freunde warnten ihn. Vor allem Lenny. »Du musst verrückt sein, dich mit der Tochter von Abdülkadir Coskun einzulassen!« Marc reagierte weder auf Lennys Warnungen noch auf die Drohungen von Ceylans Brüdern und traf sie weiter. Anfangs in der Stadt, in der Eisdiele oder im Schlossgarten hinter der Stadthalle, wo sie händchenhaltend auf der Bank saßen. Bis er auf die Idee kam, ein Versteck für sie zu suchen und durch Zufall den Keller in einem Seitentrakt des Schlosses Philippsruhe, in welchem sich die Behindertenschule befand, entdeckte.
Dann begegnete er eines Tages auf einer Party überraschend Rachael wieder und ließ immer häufiger Verabredungen mit Ceylan platzen. Bis sie ihn schließlich zur Rede stellte und er ihr von Rachael erzählte. Zwei Tage später stand seine KTM in Flammen.
»Ich hab eine Dummheit gemacht«, sagte Marc halblaut zu seinem Vater.
»Eine Dummheit?« Sein Vater hielt in seiner Kaubewegung inne und sah ihn an.
»Ja«, sagte Marc. »Und zwar eine ziemlich große.«
***
Der Schnee auf dem Kilimandscharo schmolz. Die Polkappen ebenfalls. Die Durchschnittstemperatur in Europa war in den letzten zwanzig Jahren um zwei Grad gestiegen. Weshalb also nicht auch Temperaturen wie in der West-Sahara in der Kölner Südstadt? Und warum nicht gleich Unwetter, Tsunamis und verheerende Tornados? Die meteorologische Welt stand kopf. Doch Brigitte, verschanzt hinter dem kühlenden Mauerwerk ihres vom Efeu überwucherten Hauses, fühlte sich gerüstet.
Sie tupfte sich mit einem Kleenex-Tuch den Schweiß aus dem Nacken und von der Stirn. Und eigentlich wollte sie in diesen Minuten an der Überarbeitung der zuletzt geschriebenen Seiten sitzen. Doch das Schicksal hatte andere Pläne mit ihr. Es verteilte die Karten neu, und der Joker, den sie gezogen hatte, saß ihr in Martins verschossenem nachtblauem Seidenpyjama keine zwei Meter entfernt gegenüber, hörte auf den Namen Boris und schob sich heißhungrig eine übervolle Gabel Rührei in den Mund. In der anderen Hand hielt er ein knochentrockenes Stück Schwarzbrot, das er, als sei er nichts anderes gewöhnt, wie selbstverständlich einmal kurz und hart gegen die Tischkante schlug, worauf es in mehrere ungleiche Stücke zerfiel. Die Freude, etwas Warmes in den Bauch zu bekommen, war dem Mann anzusehen.
Brigitte, die sich nicht erinnern konnte, wann sie das letzte Mal jemand zu Besuch gehabt hatte, steckte sich eine John Player an und blies mit Blick auf ihr kauendes Gegenüber fahlgraue Wölkchen in die Luft. Wie ein Kommissar, der dem Angeklagten seine Bedenkzeit gewährt, bevor er ihn mit seinen Beschuldigungenkonfrontiert, wartete sie darauf, dass Boris endlich die Gabel auf den leeren Teller legte. Doch der dachte gar nicht daran, sondern wischte den fettglänzenden Teller so lange und in aller Seelenruhe mit den aufgeweichten Brotbrocken aus, bis sie sein Getue nicht ertrug, die halbgerauchte John Player in den Ascher drückte und sagte: »Seit wann hausen Sie schon in meiner Garage?«
Unwillig legte
Weitere Kostenlose Bücher