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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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lenken Sie nicht ab. Was haben die Katzen mit dem Zettel zu tun?«
    »So steht’s im Testament.«
    »Ich dachte, es gibt kein Testament.«
    »Nicht im eigentlichen Sinn.«
    »Sondern?« fragte Pavor.
    »Ein Auftrag der besonderen Art.«
    »Ja«, sagte Pavor mitleidig, den eigenen Auftrag bedenkend und wie grotesk das Ganze schien. Er sagte: »Dabei kann man 4711 in jedem Laden kaufen.«
    »Schon. Aber damit ist nichts gelöst.«
    »Ich habe nie wirklich begriffen, worum es geht«, gestand Pavor. »Ich dachte an Industriespionage?«
    »Nein«, sagte Cheng. »Eher etwas Privates. Es dreht sich wohl um einen gewissen Bestandteil, der geheim ist. Und von dem ein paar Wahnsinnige glauben, man könnte damit Totes zum Leben erwecken. Wenn schon keine toten Menschen, dann zumindest toten Lehm. Die Geschichte vom Golem. Schon einmal gehört?«
    »Natürlich.«
    »Darum geht es. Einem Homunkulus den Odem einzuhauchen. 4711 scheint dabei die Rolle des Odems zuzukommen. Ein Parfum als Seele. Wenn man so was glauben will.«
    »Und darum sind wir hier«, staunte Pavor.
    »Mein Gott«, meinte Cheng, »anderswo streiten die Leute um ein Wasserloch oder sprengen sich in die Luft, weil Feiertag ist.«
    Das war nun eine gar nonchalante Sichtweise, in Anbetracht der Situation, in der sich Cheng befand. Was ihm wohl selbst klar war, denn er sagte: »So, Herr Pavor, das sollte Ihnen reichen. Holen Sie mich aus der Schlinge. Und dann überlegen wir mal, wie das Zettelversteck mit den drei Katzen zusammenhängen könnte. Irgendwie muß es das.«
    »Tut mir leid, mein Freund«, erwiderte Pavor in einem geradezu sentimentalen Ton, »es ist einfach zuwenig Platz für uns beide in dieser unglückseligen Geschichte. Und eine andere wird es leider nicht geben. Nicht für Sie. Das ist nicht persönlich gemeint. Ich muß Sie ganz einfach loswerden. Die Sache ist viel zu heikel. Frau Kremsers Tod … Nun, es war eigentlich ein Unfall, aber ein Unfall, den man mir übelnehmen könnte. Das Gesetz ist kleinlich, die Polizei ist kleinlich, die ganze Gesellschaft. Nein, ich würde nicht wollen, deswegen in Ihrer Hand zu sein.«
    »Pavor, Sie sind ein Amateur, nicht wahr?« sagte Cheng. Warum sagte er das? Nun, er versuchte Pavor zu ködern, versuchte, ihn zum Aufstehen zu verleiten. Aus gutem Grund, da Cheng hinter Pavor eine Bewegung wahrgenommen hatte. Jemand war eingetreten. Eine kleine Gestalt, auch eine leichtgewichtige, die kaum ein Geräusch verursachte.
    Lena!
    Ja, es war Rubinsteins aufmüpfige, obergescheite Tochter, die auf Zehenspitzen daherschritt. Wobei die perfekte Lautlosigkeit, mit der das Mädchen in den Raum geschlüpft war, ihre Ausbildung zur Ballettänzerin verriet. Daher stammte ja auch ihre makellose Arroganz. Will man ein arrogantes Kind, muß man es zum Ballett schicken. Oder zum Fechten. Ballett und Fechten sind die pädagogischen Kraftstoffe des Dünkels gegen die reale Welt. Aber wie gesagt, solche Kinder lernen auch, sich zu bewegen. Wie Schlangen sich bewegen. Und Tintenfische auf Jagd.
    Wenn nun Cheng bemüht war, Gregor Pavor mittels der Amateur-Bezeichnung zu provozieren, dann darum, weil neben Pavor, auf einem Tischchen plaziert, eine Pistole lag, eine Pistole, die für Pavor im Moment nicht wirklich eine Rolle spielte, da er sich ja sicher fühlen durfte. Freilich war er grob verärgert ob des Vorwurfs, ein Dilettant oder Laie oder Schlimmeres zu sein. Gemäß Chengs Idee griff er nach dem Seil, sprang in die Höhe, machte zwei Schritte auf den Detektiv zu, zeigte mit dem Finger auf ihn und sagte: »Das werden wir gleich sehen, wer hier der Amateur ist.«
    »Halt!«
    Es war Lena, die »Halt!« gerufen hatte, elfjährig, zart, dünnhaarig, augenscheinlich eine schlechte Esserin. Aber das war ja im Moment nicht der Punkt, wer hier schlecht beim Essen abschnitt. Der Punkt war, daß Lena die Waffe vom Tisch genommen hatte und sie nun – ohne im geringsten zu zittern, den Lauf leicht nach oben gerichtet, den Finger am Abzug – auf Gregor Pavor gerichtet hielt.
    Der erholte sich so schnell es ging vom ersten Schrecken, vollzog eine lässige Geste, streckte seinen freien Arm aus, öffnete die Hand und sagte: »Hör auf mit dem Unsinn, Kind. Das ist kein Spielzeug.«
    »Das glaube ich auch«, sagte Lena, die Altkluge, »daß das kein Spielzeug ist. Wäre es ein Spielzeug, bräuchte man es nicht zu entsichern.«
    »Du hast das Ding entsichert?« fragte Pavor hinterlistig.
    »Ne, war es ja schon.«
    »Na gut«, meinte Pavor

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