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Ein diskreter Held

Ein diskreter Held

Titel: Ein diskreter Held Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Lebensmittel und das Wasser. Über ihre Vergangenheit konnte Felícito nie etwas in Erfahrung bringen, wie und warum sie von ihrem fernen Land aus nach Piura gekommen waren, auch nicht, warum sie, im Gegensatz zu den anderen Chinesen in der Stadt, es nicht vorangeschafft hatten und sich im Elend einrichteten.
    Ihr wahres Mittel der Verständigung war das Qigong. Am Anfang ahmte Felícito seine Bewegungen nach, als wäre es ein Spiel, doch Lau nahm es sehr ernst, ermunterte ihn, dranzubleiben, und so wurde er zu seinem Lehrer. Ein freundlicher, geduldiger Lehrer, der in seinem kümmerlichen Spanisch jede einzelne seiner Bewegungen und Haltungen mit Erläuterungen begleitete, so wenig Felícito sie auch verstand. Doch nach und nach ließ er sich anstecken von Laus Beispiel und machte Qigong nicht nur, wenn er zur Bude ging, sondern auch in derPension der Witwe oder wenn er auf seinen Fahrten irgendwo abstieg. Es gefiel ihm. Es tat ihm gut. Es beruhigte ihn, wenn er nervös war, gab ihm die Kraft, sich dem Auf und Ab des Tages zu stellen. So entdeckte er seine Mitte.
    Eines Nachts weckte die Witwe Felícito und sagte, diese komische kleine Chinesin aus dem Kramladen stehe schreiend vor der Tür und niemand verstehe, was sie sage. Felícito sprang in Unterhosen hinaus. Laus Schwester, mit zerzausten Haaren, deutete fuchtelnd in Richtung der Bude und kreischte hysterisch. Er rannte hinter ihr her, zu Lau, der nackt, mit einem Fieberanfall ohnegleichen, auf einer Matte lag und sich vor Schmerzen wand. Nur mit Mühe konnten sie ein Fahrzeug auftreiben, das ihn zur nächsten Unfallstation brachte. Der diensthabende Sanitäter sagte, er müsse ins Krankenhaus, auf der Unfallstation würden nur leichtere Fälle behandelt, und dieser scheine ernst zu sein. Sie brauchten fast eine halbe Stunde, bis sie ein Taxi besorgt hatten, das Lau zum Hospital Obrero fuhr, wo man ihn in der Notaufnahme bis zum Morgen auf einer Bank liegen ließ, weil es keine freien Betten gab. Am nächsten Tag, als ein Arzt ihn endlich untersuchte, lag Lau im Sterben. Wenige Stunden später war er tot. Niemand hatte das Geld für eine Beerdigung – Felícito verdiente gerade so viel, dass er zu essen hatte –, und sie begruben ihn in einem Gemeinschaftsgrab, nachdem man ihnen eine Bescheinigung ausstellte, in der stand, die Todesursache sei eine Darminfektion.
    Merkwürdig war, dass Laus Schwester noch an dem Tag, als er starb, verschwand. Felícito sah sie nie wieder und hörte auch nichts mehr von ihr. Die Bude wurde am selben Morgen geplündert, und kurz darauf nahmen Leute das Wellblech und das Holz der Wände mit, so dass wenige Wochen später keine Spur mehr von den beiden Geschwistern bleib. Als die Zeit und die Wüste die letzten Reste der Hütte geschluckt hatten, eröffnete dort ein Hahnenkampfplatz, ohne großen Erfolg. Mittlerweile war dieser Teil von El Chipe bebaut, es gab Straßen, Strom, Wasser, Kanalisation und Häuser für Familien aus der Mittelschicht.
    Die Erinnerung an den Chinesen Lau blieb in Felícitos Gedächtnis immer lebendig. Jeden Morgen wurde sie aufgefrischt, seit dreißig Jahren, sobald er mit dem Qigong begann. So viel Zeit war vergangen, und noch immer fragte er sich manchmal, was Lau und seine Schwester wohl aus China fortgetrieben hatte, was sie alles hatten mitmachen müssen, bis sie in Piura strandeten, verdammt zu diesem einsamen und traurigen Dasein. So oft hatte Lau gesagt, man müsse immer die Mitte finden, und selber hatte er es offenbar nie geschafft. Er dagegen, sagte sich Felícito, bekäme heute vielleicht, sobald er tat, was er sich vorgenommen hatte, seine verlorene Mitte zurück.
    Er fühlte sich etwas matt, als er die Übungen beendete, sein Herz schlug schneller. Er duschte in Ruhe, putzte die Schuhe, zog sich ein frisches Hemd an und ging in die Küche, um sich sein Frühstück zuzubereiten, Kaffee, Ziegenmilch und eine Scheibe dunkles Brot, das er im Toaster erhitzte und mit Butter und Zuckersirup bestrich. Es war halb sieben, als er auf die Calle Arequipa trat. Lucindo war bereits an seiner Ecke, als hätte er auf ihn gewartet. Er legte einen Sol in sein Schälchen. Der Blinde erkannte ihn sofort:
    »Guten Morgen, Don Felícito. Heute sind Sie aber früh.«
    »Ich habe viel zu tun, und es ist ein wichtiger Tag für mich. Drück mir die Daumen, Lucindo.«
    Nur wenige Menschen waren auf der Straße, und es war angenehm, über den Bürgersteig zu laufen, ohne von den Reportern bedrängt zu werden. Und

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