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Ein dunkler Ort

Ein dunkler Ort

Titel: Ein dunkler Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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machten einen Spaziergang zur anderen Seite des Sees. Draußen war es grau und winterlich, ein krasser Unterschied zu dem sonnigen Herbstwetter bisher. Kit hatte das Gefühl, der Himmel würde ihre Stimmung spiegeln. Sie steckte die Hände tief in die Taschen ihrer Jeans und schaute über die toten braunen Halme hinweg, die alles waren, was noch vom Sommergarten übrig war.
    »Und ist er tot?«, fragte sie.
    »Ja, klar. Schon ewig. Er ist ziemlich früh gestorben. Er war erst in den Vierzigern. In meiner früheren Schule haben wir letztes Jahr im Kunstkurs über ihn gesprochen.«
    »Da hast du was über ihn gelernt?« Kit atmete erleichtert durch. »Und Lynda auch?«
    »Nein, Lynda nicht«, sagte Ruth. »Sie hatte diese Zusatzkurse nicht belegt. Was hast du denn plötzlich mit Thomas Cole?«
    Kits Kopf tat weh. Sie hatte das Gefühl, dass sie in letzter Zeit ständig so einen pulsierenden Druck im Kopf spürte. Manchmal lag es an der Musik in ihrem Kopf, die schrillte, dröhnte und ihr die Ohren mit Geräuschen füllte, die sonst niemand hören konnte. Dann wieder, so wie jetzt, war da nur dieser Druck, der von Verwirrung und Erschöpfung herzurühren schien.
    »Ich bin so durcheinander«, sagte sie. »Ich weiß kaum noch, wo ich anfangen soll. Nichts ergibt mehr einen Sinn.«
    »Was ist passiert?«, fragte Ruth. »Muss ja wichtig sein, wenn du ganz bis hier raus gehen wolltest, um darüber zu reden.«
    »Es geht um gestern Abend«, sagte Kit. »Als ich in Madames Büro war und mit Mom telefoniert habe. An der Wand über dem Aktenschrank hing die Kopie eines Gemäldes von einem See. Madame hat gesagt, es sei von Thomas Cole.«
    »Na und?«
    »Das war derselbe See, den Lynda malt, und dann sah das Bild auch noch genauso aus wie eine von Lyndas Landschaften. Das Licht, die Farben, der Himmel … einfach alles. Das Bild hätte von Lynda sein können.«
    »Deshalb wolltest du wissen, ob sie sich mit Thomas Cole beschäftigt hat?«
    »Wenn sie es getan hätte, wäre das eine Erklärung gewesen, zumindest teilweise. Sie hätte seine Arbeit imitieren können, glaubst du nicht? Unbewusst, ohne dass ihr klar war, was sie da machte? Aber sie war nicht mit dir in diesem Kurs, diese Möglichkeit scheidet also aus. Aber irgendeine Antwort muss es doch geben.«
    » T.C .«, sagte Ruth leise.
    »Was?«
    »Das sind die Initialen: T.C . So signiert Lynda ihre Bilder.«
    » T.C . wie Thomas Cole?« Kit konnte es nicht fassen. »Dann muss sie auch wissen, wer er ist – eine andere Erklärung gibt es doch gar nicht! Sie muss seine Arbeiten irgendwo gesehen haben, vielleicht in einem Dokumentarfilm im Fernsehen. Und sie bewundert ihn. Sie will unbedingt so sein wie er, deshalb benutzt sie auch seine Initialen, damit ihr das, na, damit ihr das irgendwie Glück bringt.«
    »Nein«, sagte Ruth »Das kannst du mir nicht weismachen. Sorry. Ich wünschte, es wäre wahr, aber ich bin mir sicher, dass es das nicht ist.«
    Eine Brise kräuselte den See, die Bäume, die sich auf der Wasseroberfläche spiegelten, glitzerten und bewegten sich wie lebendige Wesen. Auf der anderen Seite des Sees hob sich das Dach von Blackwood scharf gegen den bedeckten Himmel ab. Die Fenster starrten zu ihnen herüber wie leere Augenhöhlen.
    Plötzlich ging die Küchentür auf und Lucretia kam mit einem großen Müllsack für den Brennofen nach draußen. Ihr Grau fügte sich nahtlos in das Grau des Tages.
    »Die wird jedenfalls nicht kündigen«, meinte Ruth. »Ich hab Madame mal nach ihr gefragt. Sie hat schon für ihre Eltern gearbeitet, als Madame noch klein war. Sie mag ja nicht die Hellste sein, aber sie ist so was wie ein Familienerbstück.«
    »Natalie hat nicht gekündigt«, sagte Kit. »Sie ist gefeuert worden.«
    »Madame hat gesagt, sie hat gekündigt.«
    »Ich weiß, das glaube ich aber nicht. Natalie brauchte den Job, und wenn sie einen Freund hatte, erwähnt hat sie ihn nie. Und ich bin mir sicher, sie hätte es getan, wenn die Sache so ernst gewesen wäre, dass sie ans Heiraten dachte.«
    »Aber warum sollte Madame sie vor die Tür gesetzt haben?«, fragte Ruth. »Lucretia kann nicht kochen. Dieses Hühnchen gestern Abend war so eklig, dass ich es kaum runterkriegen konnte. Natalies Mahlzeiten waren das Highlight des Tages.«
    »Natalie hat geredet«, sagte Kit. »Weißt du noch, dass ich sie nach Hintergrundinfos zu Blackwood befragen wollte? Madame Duret platzte herein, als sie mir was erzählt hat, und sie war wütend. Ganz bestimmt hat sie

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