Ein Elefant im Mückenland
buchstäblich in sich zusammen und senkte den Kopf, dann hielt er die Au-gen geschlossen und versuchte so unauffällig zu wirken, wie es einem fünfhundert Kilo schweren Huftier irgend möglich ist.
Emilia suchte sich einen geeigneten Platz an der Längswand des Stalls nahe der Dungluke. Der Bauer streute eine dicke Schicht überjähriges Stroh aus, und das müde Tier legte sich nieder. Der Bulle in seinem Verschlag schickte scheele Blicke und legte sich schließ-lich ebenfalls hin. Die Kühe muhten leise und legten sich ebenfalls eine nach der anderen zur Ruhe. Im Stall herrschte wieder Eintracht. Lucia Lucander und die Bauersleute trugen das Gepäck ins Hinterzimmer.
Am nächsten Tag zeigte sich, dass es Elefant und Bul-le nicht im selben Stall miteinander aushielten. Der Bulle hatte solche Angst vor Emilia, dass er nicht mehr fressen mochte. Eine der Kühe wurde brünstig, aber er war außerstande, zur Erleichterung ihrer Gefühle beizu-tragen.
Emilias Hinterlassenschaften machten dieselbe Menge aus, wie die von allen anderen Tieren des Stalles zu-sammen, sodass Lucia und die Bauersleute reichlich mit Ausmisten zu tun hatten. Lucia musste oft daran den-ken, wie hart es für den armen Igor gewesen war, den Dung aus dem fahrenden Zug zu schaufeln. Tausende Kilometer Tundra und Taiga hatten stinkende Grüße aus dem Magen des Elefanten bekommen, Hunderte Kubikmeter Dung. Schade, dass Igor kein Visum be-kommen hatte. Lucia fragte sich, ob man in Herman-towsk wohl eine Begräbnisfeier für sie veranstaltet und zu ihrem Gedenken ein orthodoxes Holzkreuz am Jenis-sei errichtet hatte.
Für Emilia war es zu eng im Kuhstall, sie brauchte ein größeres Quartier. Auf dem Nachbarhof gab es eine alte Scheune, aber die eignete sich nicht, da sie zu morsch war und die Gefahr bestand, dass das Dach über Emilia einstürzte. Doch immerhin besaßen die Länsiös noch den riesigen Hühnerstall, die Eierproduk-tion war die Haupteinnahmequelle des Kleinbauernho-fes.
»Ist mir nicht gleich eingefallen, dass man die Hühner und den Elefanten zusammen in einen Käfig sperren könnte«, fand auch der Bauer, als er und seine Frau gemeinsam mit Lucia den Stall besichtigten. Es war ein
hohes Gebäude mit breiten Türen, damit die Fahrzeuge der Eiergenossenschaft hineinfahren konnten, und drinnen trippelten Tausende Hühner umher, Millionen waren es dann doch nicht. Oskari erzählte stolz, dass er freie und glückliche Hühner aufzog. Bäuerin Laila äu-ßerte die Befürchtung, dass der Elefant die Hühner zertrampeln könnte, aber diese Gefahr bestand nicht, wusste Lucia. Elefanten sind kluge und vorsichtige Tiere. Außerdem würden die Hühner bestimmt von sich aus aufpassen, hatte der Elefant doch eine enorme Größe, zumal vom Fußboden aus betrachtet. So wurde beschlossen, die Möglichkeiten des Zusammenlebens von Hühnern und Elefant zu testen.
Emilia kroch erleichtert aus dem Kuhstall und verließ die Gesellschaft des Bullen und der Kühe. Genießerisch sog sie mit dem Rüssel die frische Luft ein. Sie bekam außerdem frisches Heu, alles in allem ein wirklich schö-ner Tag. Sie tobte auf dem Hof herum, trompetete laut ihre Freude heraus, wedelte mit den riesigen Ohren und stupste die Stirn gegen den Traktoranhänger, sie war übermütig wie die Kühe im Frühjahr, wenn sie das erste Mal nach draußen auf die Weide gelassen werden. Der Anhänger ruckte ein Stück von der Stelle.
Lucia führte Emilia in den Hühnerstall. Die Hühner reagierten zunächst verblüfft auf die riesige Gestalt und flatterten aufgeregt gackernd in die hintersten Ecken der Halle. Bald gewöhnten sie sich jedoch an den Neuan-kömmling, der nicht bedrohlich wirkte, und sie setzten ihr übliches Treiben fort. Der Elefant beschnupperte sie und hob eines der Hühner mit dem Rüssel hoch in die Luft, wo es verdutzt um sich blickte, bis es schließlich wieder nach unten flatterte. Emilia bekam einen Schlaf-platz in der Ecke der Halle, Stroh wurde ausgebreitet, und ein Wasserschlauch wurde dorthin verlegt. Jetzt war wieder alles zur Zufriedenheit geregelt.
Alles wäre gut gewesen, wenn Bauer Oskari Länsiö nicht so zudringlich gewesen wäre. Dauernd tauchte er unter einem Vorwand in Lucias Kammer auf, er hatte einen unerschöpflichen Vorrat an idiotischen Geschich-ten, die sie sich bis zum Überdruss anhören musste. Zu allem Überfluss glaubte dieses Ekelpaket auch noch, wer weiß wie interessant zu sein, er rückte ganz dicht an Lucia heran, atmete tief und
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