Ein Elefant im Mückenland
Glück lebte ihre Mutter noch, sie war im Altenheim untergebracht.
Lucia und Laila machten es sich zur Gewohnheit, bei ihren nächtlichen Raubzügen am Bethaus von Hor-mistonmäki vorbeizufahren. Das Gebäude jagte ihnen keine Angst mehr ein. Mit dem Weihnachtslied, das sie dort gesungen hatten, war es zu einer freundlichen Stätte geworden, um die ein alles verzeihender Frieden herrschte.
»Als ich zum Konfirmandenunterricht ging, war ich gläubig«, gestand Laila. »Später wurde ich irgendwie weltlicher, aber seit Oskari trinkt und so garstig ist, bete ich wieder. Ich tue es fast jeden Abend, das erleichtert.«
Lucia bekannte, dass sie für Emilia bete, aber es scheine nicht zu helfen.
»Andererseits ist es bestimmt eine Art Fügung, dass ich Taisto begegnet bin. Einen so guten Mann gibt es eigentlich gar nicht, im wirklichen Leben, meine ich.«
»Stimmt. Er ist wie Jesus.«
»Nimm ihn dir«, forderte Lucia die Freundin auf. »Ich habe genug mit Emilia zu tun.«
Laila sagte zwar nichts dazu, aber sie dachte darüber nach.
Wortlos baten die Frauen Jesus um Vergebung für den Diebstahl, aber was blieb ihnen anderes übrig? Von ihrem Gebet erleichtert, starteten sie wieder das Fahr-zeug und fuhren zielstrebig in Richtung Kiukainen. Dort hatten sie ein großes Gut entdeckt, dessen Futterreser-ven notfalls für eine ganze Elefantenherde reichen wür-de. Bis zu diesem Gut namens Köylypolvi waren es anderthalb Meilen, das bedeutete hin und zurück drei-ßig Kilometer nächtlicher Fahrt.
Die Frauen waren mit den üblichen Einbruchswerk-zeugen ausgestattet: Taschenlampe, Kneifzange, Axt und Kuhfuß sowie Besen und zwei kurzstieligen Forken. Nervös kichernd brachen sie die Tür des Futterlagers auf und schlichen hinein, anschließend holten sie ihr Fahrzeug. Die Heuballen waren zu einer meterhohen Wand aufgestapelt. Die Frauen angelten sich ein paar herunter, zerschnitten die Schnur und warfen das lose Heu mit der Forke auf den Anhänger. Als die Ladung fertig war, fuhren sie hinaus, schlossen die Tür und hängten das Schloss so ein, dass der Einbruch mög-lichst nicht gleich bemerkt würde. Die Räderspuren vor dem Gebäude fegten sie mit dem Besen zu, und dann sausten sie mit ausgeschaltetem Licht zur Landstraße. Auf der Heimfahrt machten sie am Waldrand Halt, tran-ken Kaffee und aßen ihren Proviant. Sie waren erleich-tert und guter Dinge. Wieder war es ihnen gelungen, den Elefanten für eine Weile zu versorgen.
»Bald wird es Frühling und Sommer, dann kann sich Emilia selbst ihr Futter holen«, seufzte Lucia.
»Und wir können mit diesen Diebestouren aufhören«, freute sich Laila.
Mitte April gingen die Futterdiebe ins Netz. Bauer Paavo Satoveräjä saß im Arbeitszimmer seines großen Guts-hauses und blätterte schweigend in den Anbauplänen für den kommenden Sommer. Die Gesamtfläche des Hofes betrug sechshundert Hektar, davon waren zwei-hundertzwanzig Hektar Feldfläche. Selbst im blühenden Satakunta war das ein großer Hof. Hätte man noch die alten Zeiten, würden im Kuhstall zweihundert Rinder muhen, auf den Feldern würden zwanzig Knechte schuf-ten, und im Haus würden Bauer und Bäuerin, vor allem Letztere, Kaarina Satoveräjä, von einer Schar Mägde bedient. Aber heute war alles anders. Der Bauer konnte froh sein, wenn er zu den Stoßzeiten bei Saat und Ernte zwei, drei Männer bekam, die die Traktoren und Mäh-drescher fuhren, und er selbst war gezwungen, von morgens bis abends zu arbeiten. Seine Frau hatte es leichter, denn Milchvieh gab es auf dem Hof nicht mehr, sie hatten die Kühe schon vor zehn Jahren verkauft. Übrig geblieben war nur die Katze, kein anderes leben-des Vieh. Die Kinder waren aus dem Haus, Sohn Lauri war Ingenieur und der zweite, Ilmari, Pastor. Ja, der Bursche war tatsächlich Pastor geworden, angestellt im Kirchenbezirk Vammala.
Kaarina Satoveräjä war schlank und knapp über vier-zig, eigentlich eine schöne Frau. Sie hatte fast pech-schwarze glatte Haare und eine spitze Nase. Im Allge-meinen war sie recht ruhig, aber wenn sie wütend wur-de, lief sie rot an. Jetzt hatte sie ihrem Mann etwas mitzuteilen.
»Die verrückten Weiber haben sich diese Woche wie-der Futter geholt, zwei Mal.«
Ihr Mann sah sie fragend an.
»Jawohl, glaubst du es denn immer noch nicht? Die beiden vom Zirkus!«
Paavo wusste sehr wohl, worum es ging. Laut seiner Buchführung war im Laufe des Winters tonnenweise Futter aus dem Lager verschwunden, und er ahnte, wohin es gebracht worden
Weitere Kostenlose Bücher