Ein Elefant im Mückenland
Ort für Veranstaltungen der Kirchen-gemeinde genutzt worden, auch Katechismusunterricht und Sonntagsschule hatten dort stattgefunden.
Wenn Laila und ihre Freundinnen einst mit dem Fahrrad auf dem Rückweg vom Tanz hier vorbeigekom-men waren, so berichtete sie, hatten sie jedes Mal durch die Fenster in den dunklen Saal gelugt und dabei schreckliche Angst vor Gespenstern gehabt. Aber neu-gierig, wie sie waren, hatten sie sich nicht bezähmen können und trotzdem hineingeschielt.
Lucia rühmte sich damit, dass sie keine Angst vor To-ten hatte. Sie sagte, sie habe im Kaukasus und in Sibi-rien jede Menge davon gesehen. Russland habe viele Einwohner und somit auch viele Todesfälle.
Lucia holte Emilia auf den Hof des Bethauses. Die schmutzigen Fenster des Gebäudes waren geschlossen, es wirkte verlassen und geheimnisvoll. Die riesige Ges-talt des beleuchteten Elefanten warf einen Schatten auf die weißen Wände, ein recht unheimlicher Anblick.
»Lass uns ein Weihnachtslied singen«, schlug Laila vor.
Die Frauen summten leise die schöne Melodie des Liedes »Vom Himmel hoch …« Der Himmel war sternen-los, der Mond hinter einer Wolke versteckt, aber Emilias Kerzen beleuchteten die ganze Umgebung. Emilia breite-te ihre Ohren aus und gab sich ganz der Stimmung hin. Sie hob ihren Rüssel, trompetete eine laute Fanfare und tanzte im Takt des Liedes Trepak, so wie sie es in Russ-land gelernt hatte.
DIE FEUERWEHR
WÄSCHT DEN KRANKEN ELEFANTEN Auch nach Weihnachten und Neujahr hielt der Winter Freuden bereit. Bei strengem Frost konnte Lucia den Elefanten nicht nach draußen bringen, er war ein Kind heißer Länder, und besonders die Ohren und die dünne Bauchhaut wären erfroren. Aber wenn nur wenige Grad Frost herrschten, durfte Emilia bis zu einer halben Stunde an die frische Luft, und bei milderen Temperatu-ren sogar noch länger. Lucia warf ihr bei den Ausgängen für alle Fälle stets die Decke über, die sie für die Weih-nachtsfeier genäht hatte.
Lucia und Laila besorgten sich Rutschschlitten aus Plastik, mit denen sie den nahe gelegenen Hügel hinun-tersausten. Satakunta war zwar ein flacher Landstrich mit weiten Feldern und niedrigen Küstenwäldern, trotz-dem ermöglichte der Hügel ein beachtliches Tempo: Der Höhenunterschied betrug zwanzig Meter auf einer Stre-cke von knapp hundert Metern. Die Frauen versuchten auch Emilia anzulocken und redeten ihr zu, auf dem Hintern hinunterzurutschen, aber ihr war dieser Spaß im Schnee fremd, und sie begriff nicht, was man von ihr wollte. Nachdem sie den Frauen zwei Tage lang zugese-hen hatte, beschloss sie endlich, es einmal selbst zu probieren. Jetzt war es an Lucia und Laila, zu staunen. Emilia rutschte nicht auf dem Hintern hinunter, son-dern ließ sich geruhsam auf alle viere nieder, reckte den Hintern hoch und sauste los. Sie glitt abwärts, der Rüssel sauste durch die Luft und die Ohren flatterten, und dabei stieß sie laute Trompetenstöße aus. Unten angekommen, erhob sie sich würdevoll und blickte um sich, so als erwarte sie Applaus. An allem war zu erken-nen, dass ihr die Rutschpartie gefallen hatte, und nach-dem sie einmal den Trick heraushatte, stieg sie wieder auf den Hügel und wiederholte das Ganze. An milden Wintertagen rutschte sie fünf- oder sechsmal den Hügel hinab.
Emilia erkor Laila Länsiö zu ihrer Schutzbefohlenen und wollte ihr den Abfahrtslauf nach Art der Elefanten beibringen. Anscheinend hielt sie Laila für einen zwei-beinigen Elefanten und wollte ihr zeigen, wie man sicher nach unten kam.
Kaufmann Taisto Ojanperä schaffte ein robustes Ge-ländefahrzeug an, das eine kippbare Ladefläche und einen Anhänger hatte und auf dem zwei Personen Platz fanden. Es war besonders stark, kam mühelos über die schneebedeckten Feldwege und blieb nie stecken. Auf die Ladefläche und den Anhänger passten dreihundert bis vierhundert Kilo Halmfutter für Emilia, das ent-sprach dem Vorrat für eine Woche. Ein-, zweimal in der Woche fuhr Lucia damit in die umliegenden Dörfer, um von den Bauern Futter zu kaufen. Oft kam auch Laila mit. Zu zweit ließ sich die Fuhre besser beherrschen, und auch sonst machte es mehr Spaß, mit einer guten Freundin unterwegs zu sein.
Das Wintervergnügen endete zu gegebener Zeit, und das recht unangenehm. Im März erkrankte Emilia an Grippe. Wenn schon Mäusetyphus eine ernste Erkran-kung ist, so ist Elefantenfieber erst recht schlimm. Emilia nieste wie eine Haubitze mit Hinterlader. Aus ihren Augen floss literweise
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